Willkommen muss für alle gelten

Bericht von Carsten Schatz über eine Veranstaltung zu lesbischen, schwulen, bi- und transsexuellen, transgender und intersexuellen - kurz LSBTTI-Flüchtlingen der Fraktion Bündnis90/ Die Grünen und der Linksfraktion.

Bericht von Carsten Schatz über eine Veranstaltung zu lesbischen, schwulen, bi- und transsexuellen, transgender und intersexuellen - kurz LSBTTI-Flüchtlingen der Fraktion Bündnis90/ Die Grünen und der Linksfraktion am 27. März 2015.

"Damit nicht alle das erleben müssen, was ich durch habe..."

…so beschrieb ein schwuler Flüchtling aus Syrien, nennen wir ihn Khaleb**, seine Motivation, an der Veranstaltung zu lesbischen, schwulen, bi- und transsexuellen, transgender und intersexuellen - kurz LSBTTI-Flüchtlingen der Fraktion Bündnis90/ Die Grünen und der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus teilzunehmen und sich an der Diskussion zu beteiligen.

Die verlief zeitweise turbulent, nahmen doch auch Flüchtlinge an der Diskussion teil, die gerade aus der Kreuzberber Gerhard-Hauptmann-Schule ausgesperrt worden waren, weil sie einem Verwaltungsakt des Bezirksamtes nicht über einen Anwalt widersprochen hatten. Im Ergebnis waren sie damit obdachlos und hatten gehört, dass auch die Grünen Mitveranstalter waren. Sie kamen also, um zu fragen, was sie jetzt machen sollten. Sie fühlten sich zumindest nicht willkommen, wie der Titel der Veranstaltung „Refugees welcome!“ ( Flüchtlinge willkommen!) verhieß.

 

Für einige Momente war unklar, ob wir die Veranstaltung unter diesen Umständen fortsetzen konnten. Aber Hakan Taş, flüchtlingspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus und Stephan Cooper, Sprecher der Bezirksgruppe von QueerAmnesty, nahmen sich des Problems an und organisierten, unterstützt durch eine Spendensammlung der Teilnehmenden der Veranstaltung, kurzfristig Unterkünfte für die elf ausgesperrten Flüchtlinge.

Intention unserer Veranstaltung war, Aktive aus verschiedenen Bereichen der Arbeit mit LSBTTI*-Flüchtlingen, Politiker*innen und Flüchtlinge miteinander ins Gespräch zu bringen, Probleme zu benennen und gemeinsam über Lösungen nachzudenken. Dabei nicht nur den Blick auf den Staat zu richten, sondern auch in den eigenen Communities zu fragen: Was können wir tun?

Organisiert und moderiert von den queerpolitischen Sprecher*innen beider Fraktionen, Anja Kofbinger und Carsten Schatz, begann die Diskussion mit einem Podium aus  Bundestagsabgeordneten beider Parteien vervollständigt durch Stephan Cooper von QueerAmnesty.  In einem Parforceritt wurden Themen, wie Verfolgung aufgrund der sexuellen und geschlechtlichen Identität - zumindest staatlich - in 79 Ländern der Welt, Flucht in Drittstaaten, die ihrerseits LSBTTI* diskriminieren, viele nichtstaatlich aber auch nicht weniger gewalttätig, finanzielle Hilfe für Kommunen, Informationen für Flüchtlinge über Beratungsstellen oder Unterstützer*innengruppen und unsensible Träger angesprochen.

Dabei müssen wir uns darüber bewusst sein, dass es keine Statistiken über Flüchtlinge gibt, die ihre Heimat aufgrund der Verfolgung aus Gründen der sexuellen und geschlechtlichen Identität verlassen. Lediglich Flüchtlinge, die über internationale Organisationen, wie das UNHCR (Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge) nach Deutschland kommen, weil die Staaten, in die sie geflüchtet sind , auch keine sicheren Lebensbedingungen bieten, werden gezählt. Nach einer Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion, handelt es sich um drei Fälle.

Leider war kein Flüchtling in der Vorbereitung der Veranstaltung bereit, auf dem Podium mit uns zu diskutieren. Zu groß waren die Vorbehalte vor dem Schritt in die Öffentlichkeit. Doch nach der Unterbrechung der Veranstaltung und im zweiten Podium, das sich der Situation in Berlin widmen sollte, nahmen Khaleb** und ein zweiter Flüchtling aus Ägypten, nennen wir ihn Hamit**, das Mikro und schilderten ihre Erfahrungen als schwule Flüchtlinge in Berlin: ihre Erfahrung mit Rassismus, nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in den schwulen Communities, ihre Erfahrung mit Homophobie, nicht nur ihrer Herkunftsländer und ihrer Landsleute, die aus vielen Gründen ihre Heimat verlassen haben, sondern auch der Menschen in den Flüchtlingsheimen, der Übersetzenden in den Interviews, der Bürokratie, mit der sie sich im Aufnahmeverfahren herumschlagen müssen. Ihr Gefühl des Alleinseins und ihre verzweifelte Suche nach Hilfe und Unterstützung. Ihre Angst vor Ausgrenzung und Gewalt in den Heimen, aber auch auf der Straße.

Fragen und Ängste, die den beiden Mitdiskutierenden im zweiten Podium, Saideeh Saadat-Lendle von der Lesbenberatung/LesMigras und Stephan Jäkel von der Schwulenberatung, nicht fremd sind. Saideeh sieht eine große Herausforderung in der Information und Auseinandersetzung mit dem eigenen Rassismus in den Communities. Stephan diskutierte ein Projekt der Schwulenberatung, LSBTTI-Flüchtlinge aus den Gemeinschaftsunterkünften heraus zu holen und in Wohnungen oder Wohngemeinschaften unterzubringen. Das muss gekoppelt sein mit ehrenamtlicher Begleitung und Unterstützung, sei es zu Behörden oder bei anderen Terminen.

Insgesamt ergab sich aus meiner Sicht ein Dreiklang von Problemen:

• Wie kommt die Information über Beratungs- und Unterstützungsangebote an die betreffenden Flüchtlinge?

• Wie kann es gelingen, Träger von Heimen und Notunterkünften, aber auch das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) für die besondere Situation von LSBTTI-Flüchtlingen zu sensibilisieren und diese in die Lage zu versetzen, zu intervenieren und an kompetente Träger oder Gruppen weiter zu verweisen?

• Was können wir tun, um LSBTTI*-Flüchtlingen alternative Unterbringungsmöglichkeiten zu organisieren, wenn sie Gewalt und Ausgrenzung auch in den Heimen erfahren?

All das spielt sich natürlich vor einem gesellschaftlichen Hintergrund ab, der Flüchtlingen generell mit Ressentiments entgegentritt. Ich kann es auch Rassismus nennen. Den erfahren Flüchtlinge unabhängig ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität und seine Bekämpfung muss genauso Thema sein wie die drei genannten Probleme. Natürlich müssen wir uns auch mit der  Heteronormativität der Unterstützer*innen-Szene auseinandersetzen, wenn das Logo "Refugees welcome!" nur einen Mann, eine Frau und ein Kind zeigt, also die heterosexuelle Kleinfamilie.

Unsere Veranstaltung wie auch unser Antrag zu LSBTTI*-Flüchtlingen sind erste Schritte auf einem langem Weg. Dass es gelungen ist, Akteurinnen und Akteure aus den LSBTTICommunities in die Diskussion einzubinden und Flüchtlinge zu ermutigen, selbst ihre Stimme zu erheben, zeigt, dass Engagement auf jeden Fall lohnt, auch wenn es nicht frei von Konflikten ist.

**Name geändert

Carsten Schatz
queerpolitischer Sprecher