Wahrnehmungen kritisch prüfen

Carsten Schatz

"Postfaktisch" ist das Wort des Jahres 2016. Begründet wurde das von der Gesellschaft für deutsche Sprache mit der Beschreibung gesellschaftlicher Entwicklungen, die ihren Ausdruck in der Wahl der AfD und dem Erfolg von Pegida finden.

Redebeitrag von Carsten Schatz auf dem Landesparteitag 10./11. Dezember.

Liebe Genossinnen und Genossen,

„Postfaktisch“ ist seit gestern das Wort des Jahres 2016. Begründet wurde das von der Gesellschaft für deutsche Sprache mit der Beschreibung gesellschaftlicher Entwicklungen, die ihren Ausdruck in der Wahl der AfD und dem Erfolg von Pegida finden.

„Postfaktisch“ also Fakten ignorierend oder wie es der AfD-Obrist in der Wahlrunde des rbb im Sommer ausdrückte: „Perception is reality“ – Wahrnehmung ist Realität. Der Schritt, dass wir unsere Wahrnehmungen kritisch prüfen, an gesellschaftlichen Bedingungen messen und abgleichen, fällt aus.

Wer ein Beispiel dafür sucht, findet es in der Reaktion des neugewählten CDU-Generalsekretärs bei Facebook auf die Berufung von Andrej Holm zum Staatssekretär. Da wird aus einer Verpflichtungserklärung eines Teenagers eine lupenreine Stasi-Karriere, obwohl sie für den 19-jährigen endete, als das MfS aufgelöst wurde und da wird die Pleite der Bundesanwaltschaft aus der Benutzung der Worte „Gentrifizierung“ und „Prekariat“ eine Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu konstruieren, dazu gebraucht, die Wahrnehmung zu erzeugen, Andrej sei ein Terrorist gewesen.

Beides trägt nach Prüfung der Fakten nicht, wird aber nicht nur von der CDU sondern auch der FDP, von den anderen will ich gar nicht reden, in die Welt geblasen.

Nicht erst dieser Fakt weist auf eine Nähe der sogenannten bürgerlichen Parteien zu den Blauen hin.

Wir haben es am Donnerstag im Abgeordnetenhaus vorgeführt bekommen. Bei der Wahl der Berliner Vertreter*innen zur Bundesversammlung passierte Folgendes: Wir erinnern uns, nach der Wahl im September ist die Stärke der Fraktionen: SPD 38, CDU 31, Linke 27, Grüne 27, AfD 24, FDP 12, ein AfD-Abgeordneter ist aus seiner Fraktion ausgetreten, also Fraktionslos. Am Donnerstag fehlten bei CDU und FDP jeweils ein Abgeordneter. (Eine Abgeordnete ist unwahrscheinlich, davon gibt’s bei denen nicht so viele)

Bei der Wahl zur Bundesversammlung ergab sich folgendes Resultat: SPD 37, CDU 28 (!), Linke 27, Grüne 27, AfD 26 (!), FDP 12. Eine Stimme war ungültig, weil mehr als ein Wahlvorschlag angekreuzt war. Aus den Kreuzen lässt sich schließen, das war ein überambitionierter Sozi. Das Ergebnis legt nahe, dass neben dem fraktionslosen AfD-ler ein weiterer Abgeordneter aus anderen Fraktionen die AfD gewählt hat.  Und dem Ergebnis nach liegt die Vermutung nahe, aus der CDU.

Politisch geht die Entwicklung längst in diese Richtung und ich finde, als Aktive, die eine Gesellschaftsveränderung unter Nutzung der Freiheiten dieser Gesellschaft erreichen wollen, muss uns das nicht nur besorgt machen. Wir müssen davor warnen und politisch dagegenhalten.

Und das heißt für mich, eine gemeinsame Strategie zum Umgang mit den Rechtspopulisten zu entwickeln. Nicht nur eine politische für unsere Partei, sondern auch eine, die breiter getragen und angewandt wird. Wir haben vorhin von Doro Zinke gehört, wie tief Vorurteile und produzierte Ängste bereits in die Gewerkschaften, also in Teile der sogenannten gesellschaftliche  Mitte vorgedrungen sind. Sich dann hinzustellen und eine Demo dagegen zu machen, wird nicht reichen, sie erreicht ja die Anhänger*innen nicht mehr, kann im Besten Falle nur noch verhindern, dass sich Weitere anschließen.

Und wir brauchen diese Verständigung um gemeinsam konsistent und solidarisch zu handeln. Es hilft uns ja nicht, wenn jeder Bezirksverband seins macht und letztendlich laufen wir in verschiede Richtungen. Stärke erwächst auch hier, wie in unserem Wahlkampf aus gemeinsamer Strategie und Aktion.

Ich denke, hier liegt eine wichtige Aufgabe für den neuen Landesvorstand gemeinsam mit den Bezirksverbänden eine Strategie zu entwickeln und umzusetzen.

Es geht dabei um nicht weniger, als das Lager der Solidarität zu bauen, das uns auch durch den nächsten Wahlkampf tragen soll. 

Diese Lager der Solidarität werden wir nicht durch Appelle bauen. Sondern in dem es uns gelingt, Menschen miteinander in Beziehung zu setzen, die bisher nichts miteinander zu tun haben. Jedenfalls aus ihrer Sicht. Wer dafür ein Beispiel sucht, dem sei der Film „Pride“ ans Herz gelegt. Britische Lesben und Schwule, die in den 80-ern die streikenden Bergarbeiter unterstützten und so dazu beitrugen, dass die Bergarbeiter-Gewerkschaften die ersten waren, die an den Demonstrationen zur Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen, Transgendern und Intersexuellen teilnahmen. 

Und nicht weit von hier schlagen sich Hunderte, Tausende Menschen mit Problemen rum und dem Mainstream-Diskurs ist es gelungen, sie und ihre Problem zu isolieren. Ich rede von Leuten, die Sorgen haben, dass der zukünftige Single-Airport der Stadt ihre Nachtruhe zunichte macht. Menschen die mit einer moralisch bankrotten Flughafengesellschaft darum zanken müssen, dass es Geld für Schallschutzmaßnahmen erst ab 2,40 Meter Deckenhöhe gibt oder wenn die Küche mindestens 10 qm groß ist. Die gesellschaftliche Isolation dieser Menschen ist sichtbar, auch in ihrem Protest an den Wahlurnen. Und ich frage, wie bauen wir hier das Lager der Solidarität?

Mal angesehen davon, dass doch auch hier Kriegsgewinnler, wie die schrille, bonbonfarbene FDP längst dabei sind, die Leute für ihre abenteuerlichen Pläne für die Weiternutzung Tegels zu benutzen. 

Wenn es uns nicht gelingt, konkrete Kämpfe vor Ort miteinander zu verbinden, wird das Lager der Solidarität eine schöne Losung bleiben. 

Wir als Bezirksverband in Treptow-Köpenick bieten dem neuen Landesvorstand ausdrücklich unsere Mitarbeit und unsere Erfahrungen an. Die Stadt zurückzuholen, ist eben kein Wahlakt, sondern es sind die Mühen der Ebene, die wir gemeinsam auf uns nehmen müssen. Solidarisch und gemeinsam schaffen wir das.

Danke.