Vom Kopf auf die Füße - Anmerkungen zur Debatte um den Ausschluss der CDU vom Berliner CSD 2013

Klaus Lederer & Carsten Schatz (Die Autoren sind Mitglieder des CSD Berlin e.V)

 

Der Ausschluss der CDU durch den Berliner CSD e.V. von der Berliner Parade hat einiges an Debatte ausgelöst. Jetzt hat auch Köln seine Ausschlussdebatte, bezogen auf „Pro Köln“, eine rechtspopulistische Formation. Carsten Schatz und Klaus Lederer melden sich als Mitglieder des Berliner CSD e.V. in dieser Diskussion zu Wort, weil sie meinen, dass die Debatte in Berlin vom Kopf auf die Füße gestellt werden muss. Eine Politisierung des CSD setzt voraus, auch über Diskriminierungen innerhalb der Communities, über Rassismus und Ausgrenzung zu sprechen.

 

1. Ein Paradewagen der CDU auf einem Berliner CSD unter dem Motto „Schluss mit Sonntagsreden!“ ist wahrlich eine Absurdität

Der Forderungskatalog des Berliner CSD steht in eklatantem Widerspruch zu den Positionen und zum politischen Handeln der Regierungspartei CDU: Die Öffnung der Ehe und die Gleichstellung von Regenbogenfamilien, die Rehabilitierung und Entschädigung der in der DDR und der BRD nach 1945 aufgrund von §175 StGB a.F. Verurteilten, die Ergänzung des Art. 3 GG um das Merkmal der sexuellen Identität, die Trennung von Kirche und Staat einschließlich der Abschaffung von arbeitsrechtlichen Sonderregelungen für kirchliche Träger, der konsequente Einsatz gegen Mehrfachdiskriminierungen, die Anerkennung von Homo- und Transsexualität als Asylgrund, die Abschaffung des Transsexuellengesetzes, ein Ende der Pathologisierung von Trans* und Intersexuellen… – gegen all diese Forderungen leistete und leistet die CDU bis heute bei jeder Gelegenheit erbitterten Widerstand. In vollständiger Ignoranz der gesellschaftlichen Realitäten lässt sie sich von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts treiben. In der Tat wirkt die CDU auf dem CSD wie die Fleischerinnung, die großen Wert auf ihre Teilnahme am Vegetarier*innentag legt, oder wie Thilo Sarrazin bei der Anmeldung eines Stands beim „Karneval der Kulturen“. Die Frage ist: nehmen wir das als Ausweis für widersprüchliche Auseinandersetzungen in der CDU oder folgt daraus logisch und konsequent die Notwendigkeit eines Ausschlusses der Union von der Parade?

 

2. Die CDU ist eine konservative Partei und kein Emanzipationsverein

Häufig, auch in Stellungnahmen des Berliner CSD e.V., wird der Eindruck erweckt, als gäbe es neben den Reaktionären und Ultrareaktionären in der Union Gruppen, mit denen sich progressive, emanzipatorische Queerpolitik vorantreiben ließe. Diese Rolle wird dann den Lesben und Schwulen in der Union (LSU) oder den so genannten „wilden 13“ zugeschrieben. Deshalb, so der Berliner CSD e.V., wäre gegen einen Wagen der LSU – im Gegensatz zu einer Paradeteilnahme der CDU – nichts einzuwenden. Diese Argumentation ist in sich widersprüchlich und kehrt sich deshalb letztlich gegen den CSD selbst.

Zunächst einmal ist richtig, dass diese Teilgruppen innerhalb der Union dafür einstehen, sich nicht länger gegen die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu stemmen. Aber welche Perspektive verbindet sich jenseits dieser Selbstverständlichkeit im demokratischen Verfassungsstaat mit der Position der konservativen Lesben und Schwulen? Die LSU kämpft innerhalb des eigenen konservativen Milieus darum, als „das Andere“ toleriert zu werden, und fordert für sich selbst „ein Stück vom Kuchen“. Damit enden die Ansprüche und der Horizont der eigenen Forderungen. Als Anwältin einer primär schwulen, weißen Mittelschicht stellt die LSU nicht einmal die Institution der Lebenspartnerschaft als eine von der Ehe scharf getrennte Institution für Lesben und Schwule – als Sondergesetz – infrage, geschweige denn die privilegierte Institution der Ehe als solche, das Ehegattensplitting, die als „Betreuungsgeld“ bezeichnete Herdprämie, die „traditionelle“ Arbeitsteilung der Geschlechter oder die herrschende heteronormative Vorstellung von „Normalität“ überhaupt. Schwule Gutverdiener-Paare sollen in den Genuss von Steuervergünstigungen kommen. Die Probleme und Belange von diskriminierten Trans*-Personen, Jugendlichen bei ihrem Coming-out in Schule und Familie, Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Intersexuellen mit Migrationshintergrund oder Menschen, die aufgrund ihrer Sexualität verfolgt und unterdrückt werden und in Deutschland Asyl suchen, sind für LSU und „wilde 13“ gleichermaßen uninteressant.

Auch der gern bediente Mythos von der „aufgeklärten Hauptstadt-CDU“ ist im Wesentlichen ebendies: ein Mythos. Natürlich gibt es auch in der Berliner Union Menschen, deren Engagement sich deutlich gegen reaktionärste Positionen innerhalb der Union richtet. Aber das politische Ergebnis bleibt doch: Die Hauptstadt-CDU stemmte sich erfolgreich gegen eine Zustimmung des Landes Berlin zur im Bundesrat beantragten Öffnung der Ehe, der CDU-Sozialsenator streicht der Lesbenberatung mitten im Haushaltsjahr die Gelder zusammen. Zur rot-roten Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ (ISV) haben sich SPD und CDU in ihrer Koalitionsvereinbarung noch bekannt. Wir anerkennen die Einbringung eines von der Vorgängerkoalition vorbereiteten Antrages zur Rehabilitierung der wegen § 175 StGB a.F. in Ost und West Verurteilten, auch die Benennung einer Ansprechpartnerin für queere Belange bei der Staatsanwaltschaft. Aber wir kommen nicht umhin, die schleichende Beerdigung der Initiative – und insbesondere ihrer emanzipatorischen Dimension – durch den rot-schwarzen Wowereit-Senat zu konstatieren.

Auf der anderen Seite erleben wir aktuell ein wirklich bemerkenswertes Bekenntnis des Neuköllner CDU-Kreisvorsitzenden zu einer ultrareaktionär-männerbündlerischen Burschenschaft, die sexuelle Diffamierung eines homosexuellen Aktivisten und Gutachters durch einen CDU-Bezirksverordneten in Mitte, die Blockade einer menschlichen Flüchtlingsunterbringung in der CDU Reinickendorf…

Sowohl die LSU als auch die Berliner CDU haben ein großes Interesse an der Aufrechterhaltung der Fiktion eines Gegensatzes zwischen liberaler Hauptstadt-Union und konservativer Bundes-CDU. Es ist in der Tat ein strategischer Ansatz von Unionspolitiker*innen, der CDU im weltoffenen Berlin und im Bundestagswahljahr ein modernes, fortschrittlicheres Make-up zu verpassen. Auf der Podiumsdiskussion der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld zum Ausschluss der CDU vom Berliner CSD kulminierte diese Strategie in der grotesken Aussage des CDU-Bundestagsabgeordneten Stefan Kaufmann, es gebe nur „ein Problem, das ist die CSU“. Wenn der Berliner CSD e.V. gegenüber CDU einerseits und LSU andererseits mit zweierlei Maß misst, dann entpolitisiert er die Debatte genau auf dem Niveau, das der Strategie der Selbstinszenierung der Union in der Hauptstadt entspricht. Er behandelt es als eine Frage des Make-up, fernab der politischen Inhalte und Positionen. Der eigene Anspruch der Politisierung wird folglich aufgegeben. Und das war gewiss nicht die Absicht.

 

3. Das war auch in den zurückliegenden Jahren nicht anders

Die CDU war im letzten oder vorletzten Jahr kein Jota progressiver. Erika Steinbach, Norbert Geis und Katharina Reiche haben nicht erst in den letzten Monaten begonnen, alles von ihrer heterosexuellen Norm Abweichende verbissen zu bekämpfen. Deshalb drängt sich die Frage auf, warum die Entscheidung zum Ausschluss der CDU von der Parade jetzt plötzlich und mit einer Vehemenz auf die Tagesordnung gesetzt wurde, die mit der Zurückhaltung des CSD in der zurückliegenden Zeit einigermaßen kontrastiert:

In den vergangenen Jahren hatte der Berliner CSD e.V. keinerlei Probleme damit, dass CDU-Landeschef Frank Henkel den Berliner CSD miteröffnet hat und die CDU mit einem Paradewagen zur Demonstration gewissermaßen gegen die eigenen Positionen auffuhr. Zur Erinnerung: 1994 wurde der § 175 gestrichen, und zwar unter dem Druck des Einigungsvertrages, da es in der DDR eine solche Regelung nicht mehr gab. Die Einführung der registrierten Partnerschaft durch die rot-grüne Bundesregierung 2001 wurde durch die Union mit allen Mitteln bekämpft. Jede gesetzliche Verbesserung für registrierte Partnerschaften in den letzten Jahren musste gegen den politischen Widerstand der Union bis vor das Bundesverfassungsgericht oder gar den Europäischen Gerichtshof durchgeklagt werden.

Wir fürchten, wenn es der Union bei der Mobilisierung von Wähler*innen hilft, wird sie auch gegen die Öffnung der Ehe protestieren. Zum Glück gibt es in Deutschland – anders als beispielsweise angesichts der im Vergleich zu Deutschland deutlich weitergehenden Öffnung der Ehe in Frankreich – gegenwärtig keine mobilisierbare gesellschaftliche Stimmung gegen die Realisierung gesetzlicher Gleichstellung von Lesben und Schwulen. Aber die Union setzt auf das konservativ-reaktionäre Milieu, auch und gerade im Bundestagswahljahr, und sie setzt darauf, als „Bewahrerin“ und Verteidigerin eines „christlich-abendländischen Familienbildes“, gemeint ist die überkommene Arbeitsteilung der Geschlechter und die Erhaltung der „Normfamilie“, Wähler*innenzustimmung zu generieren. Das mag in Berlin weniger verfangen, aber es ist nicht zu leugnen.

Die abstoßende Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft 1999 und später Rüttgers‘ „Kinder statt Inder“ hat gezeigt, dass die CDU auch zur Instrumentalisierung von Vorurteilen gegen strukturell diskriminierte Minderheiten bereit ist, wenn sie sich davon einen politischen Nutzen verspricht. Wenn all das in den vergangenen Jahren kein Hinderungsgrund für eine Teilnahme der Union mit einem Paradewagen am CSD gewesen ist, dann stellt sich schon die Frage, was sich jetzt plötzlich so massiv verändert hat?

 

4. Es war falsch, die CDU auszuschließen, ohne darüber vorab eine öffentliche politische Auseinandersetzung zu ermöglichen

Die Entscheidung, die CDU vom Berliner CSD 2013 auszuschließen, fiel im engen Kreis des Vorstands des Berliner CSD e.V., der die Demonstration und viele Veranstaltungen im Rahmen der „Prideweek“ organisiert. Mit seiner Arbeit ermöglicht der Verein jedes Jahr aufs Neue das größte und bedeutendste Ereignis der queeren Communities in Berlin. Wir wissen, welche Herausforderungen und Hürden die Macher*innen des Berliner CSD e.V., die weitaus meisten von ihnen arbeiten ehrenamtlich, immer wieder zu bewältigen hatten und haben. Diese engagierte Arbeit haben wir, wo es uns möglich war, immer unterstützt – und wir würdigen sie hier ausdrücklich.

Gerade aufgrund der enormen Bedeutung des CSD für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Intersexuelle darf aber nicht im Ansatz der Eindruck erweckt werden, der CSD in Berlin wäre die Privatangelegenheit eines Vereins. Der Berliner CSD e.V. wird öffentlich als eine Art Sprachrohr der Communities wahrgenommen. Er muss sich deshalb auch als „Treuhänderin“ einer größeren Sache begreifen. Tut er es nicht, schadet das dem Anliegen des CSD. Die Ausschlussentscheidung erweckt jedoch den Eindruck eines „Privatkrieges“ zwischen Beteiligten und befördert nicht etwa die eigentlich beabsichtigte Politisierung der Debatte, sondern der Verein macht sich damit angreifbar.

Notwendig wäre es gewesen, über diese Frage zunächst eine öffentliche Debatte in den Communities zu führen. Der Ausschluss der CDU hätte dann ein mögliches Ergebnis einer solchen Auseinandersetzung sein können, aber nicht müssen. Die Widersprüchlichkeit und mangelnde Nachvollziehbarkeit der getroffenen Entscheidung ermöglicht jetzt die Selbststilisierung der CDU – mit bereitwilliger Schützenhilfe der FDP – als Opfer „undemokratischer Ausgrenzung“, bis hin zum FDP-Vergleich mit den nationalsozialistischen Bücherverbrennungen.

Der Diskurs versteift sich nun in absurder Weise auf die Frage, ob es legitim sein kann, die CDU von der Demonstration auszuschließen. Niemand spricht mehr darüber, wer hier eigentlich wen ausgrenzt.

 

5. Die Debatte darf jetzt nicht einfach beerdigt werden

Inzwischen, so scheint es, ist der Streit – nach heftig kurzem Feuer – schnell wieder ad acta gelegt worden. „Der Ausschluss der CDU hat endlich das bewirkt, was wir schon seit Jahren versuchen: eine Diskussion über Inhalte“, heißt es erfreut auf der Facebookseite des CSD. Unserer Wahrnehmung nach wird jetzt aber über Layout und Gestaltung des Paradewagens verhandelt. Das hat nun allerdings keinerlei politischen Gehalt mehr.

Der verkündete Ausschluss der CDU war aus unserer Sicht falsch, genauso wie es die Stilisierung von LSU und „wilden 13“ als queerpolitische Lichtgestalten war und ist. Beides zusammen ermöglichte der Union jetzt ihre ostentative Opferpose. Der Ausschluss bot Raum und Resonanzboden für eine Diskursoffensive von CDU und FDP, die die unverändert reaktionären Positionierungen der eigenen Parteien mit einem lakonischen „Wer da ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“ zu relativieren versucht.

Darauf dürfen sich die Communities nicht einlassen. Statt über die Frage, welches Logo letztendlich den konservativen CSD-Wagen „zieren“ darf, muss wieder über die tagtäglichen Akte der Ignoranz und Diskriminierung gesprochen werden, denen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Intersexuelle – aber auch andere strukturell diskriminierte Menschen – in einer CDU-regierten Bundesrepublik ausgesetzt sind.

Wie wichtig das ist, verdeutlicht nun auch die aktuelle Debatte um die Anmeldung von ProKöln beim CSD Cologne. Es muss über Rassismus und Vorurteilsstrukturen in den Communities genauso gestritten und diskutiert werden wie über deren politische Instrumentalisierung durch politische Akteur*innen. Die Grenzen sind hier wesentlich diffuser, als es die Tonalität der bisherigen Ausschlussdebatte nahe gelegt hat.  Auch Sarrazin oder Buschkowsky etwa – beide Sozialdemokraten – spielen mit Ressentiments. In Berlin hat ein schwuler CDU-Politiker vor wenigen Jahren sein Outing mit dem Versuch verbunden, Minderheiten gegeneinander auszuspielen; die politische Reaktion der damaligen rot-roten Koalition und der Communities darauf war die gegenwärtig in ihrer Fortsetzung und Weiterentwicklung gefährdete Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt.“

Wo fangen wir an mit den Ausschlüssen, wo hören wir auf? So kommen wir wohl nicht weiter. Der Kampf gegen die Ausgrenzung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Intersexuellen muss stärker als ein Moment des Kampfes gegen gesellschaftliche Ausgrenzung insgesamt betrachtet und so auch vermittelt werden. Das wäre die Politisierung des CSD, die wir uns wirklich wünschen. „Queer“ ist für uns keine theoretische Phrase, die in wissenschaftlichen Abhandlungen verhandelt wird. „Queer“ ist für uns eine Praxis, die sich – über den eigenen Tellerrand hinaus – mit verschiedensten Formen der strukturellen Diskriminierung in unserer Gesellschaft auseinandersetzt und die Solidarität mit diskriminierten Menschen überhaupt zum Gegenstand hat.

Wer eben Migrant*innen in unserer Gesellschaft nicht ertragen will, hat auch als Lesbe oder Schwuler nichts auf der CSD-Demo zu suchen. Wer Flüchtlingen keine humanen Lebensbedingungen zugestehen will, gleichermaßen. Wer sexuelle Verfolgung nicht als Asylgrund akzeptieren will, ist hier falsch. Dann allerdings werden die Debatten möglicherweise noch intensiver geführt werden müssen, denn dann geht es nicht mal mehr ausschließlich um die Union. Diese Diskussion lässt sich aber nicht mit Ausschluss-Beschlüssen verordnen. Hier ist die Auseinandersetzung nötig, hier müssen wir uns querstellen.

Schließlich muss der CSD Berlin e.V. tatsächlich eine Verständigung erzielen, wo die Grenzen einer Demonstrationsteilnahme zukünftig gezogen werden, welche Möglichkeiten hierzu bestehen, wann ein Ausschluss politisch erforderlich und unter welchen Voraussetzungen er dann auch rechtlich durchsetzbar ist. Denn auch die Diskussion zu ProKöln zeigt, dass (zumindest Teile der) Communities heute selbst vor einer „Umarmung“ durch reaktionärste Kräfte nicht mehr gefeit sind und auf deren rassistische Thesen zum Teil mit Verständnis oder gar Zustimmung reagieren. Diese Debatte steht an, öffentlich, gründlich, politisch – anhand der Forderungen und Inhalte, für die der CSD stand, steht und zukünftig stehen soll. Wir müssen die Diskussion vom Kopf auf die Füße stellen.