Politischer, spannender, erfolgreicher werden!

Klaus Lederer

Basiskonferenz DIE LINKE. Berlin

Eröffnungsbeitrag von Dr. Klaus Lederer, MdA

– Manuskript. Es gilt das gesprochene Wort! –

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

liebe Gäste,

 

auf unserem Parteitag am 26. November 2011 haben wir intensiv über unser Wahlergebnis diskutiert. Wir haben resümiert: Keines unserer Wahlziele haben wir erreicht. Dafür haben wir Ursachen benannt. Unsere Inhalte, unsere politische Praxis und Ausstrahlung reichten nicht aus, um die Berlinwahl erfolgreich zu bestreiten. Auf diesem Parteitag haben wir auch festgelegt, dass wir Arbeitsprozesse zur organisatorischen und inhaltlichen Verbesserung unserer politischen Arbeit initiieren wollen – begleitet über Steuerungs- und Arbeitsgruppen, die offen und kontinuierlich arbeiten, durch projektbezogene Arbeit, aber auch durch Tagungen und Konferenzen.

 

Ein erster wichtiger Strang war die Vorbereitung einer nicht nur im parteiinternen Rahmen angelegten Diskussion darüber, wie wir uns Berlin in der Zukunft vorstellen und welche originär linken politischen Konzepte und Ideen wir für eine soziale, demokratische und weltoffene Metropole Berlin gemeinsam mit Bündnispartnern in der Stadtgesellschaft in die politische Auseinandersetzung einbringen.

 

Wir bereiten mit Mitstreiter*innen aus den Bezirken, Landesarbeitsgemeinschaften und von der Linksjugend eine stadtpolitische Konferenz für den 9. Juni vor, die Einladung dafür ist im Netz bereits zu finden. Eine Idee von Berlin 2030 und umsetzungsfähige, konkrete Alternativen werden dort nicht schon abschließend entwickelt. Aber ich hoffe, dass diese Konferenz ein Erfolg wird – ein Auftakt für spannende Diskussionen, für mobilisierende und kreative politische Prozesse, die Lust machen auf Veränderung und Einmischung „von links“.

 

Ein zweiter wichtiger Strang unserer Diskussion war die Verbesserung unserer politischen Strukturen, Kommunikation und Kultur, der Nutzung der Potenziale unserer Mitgliedschaft und unserer Verbündeten – unserer ganz praktischen Fähigkeit, durch Aktion in politische Auseinandersetzungen einzugreifen. In der Zwischenzeit hat es eine Reihe weiterer Beratungen und Diskussionen dazu gegeben. Wir haben Beiträge, Stellungnahmen, Positionen dokumentiert und ausgewertet. Unsere heutige Basiskonferenz soll diesen Diskussions- und Selbstveränderungsprozess vorwärtstreiben, ein weiterer Schritt sein, damit wir zukünftig besser, politischer, spannender, erfolgreicher werden. Wir wollen hier und nachher in Workshops miteinander diskutieren, Erfahrungen und Erfolgskonzepte austauschen, Defizite aufarbeiten und überwinden. Die Ergebnisse werden dokumentiert und dienen uns für organisationspolitische Schlussfolgerungen und Entscheidungen, die im Landesverband und in den Bezirksverbänden zu treffen sind, aber auch als Inspiration für selbstorganisierte Aktivitäten, für Erneuerung und gemeinsames Lernen und Kämpfen.

 

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

 

die bisherigen Diskussionen haben uns alle zum Lernen gezwungen, zum Zuhören, Nachdenken und zur Reflexion. Das gilt für mich wie für jede und jeden anderen hier im Saal. Wir sind hier, weil wir uns Sorgen und Gedanken machen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Ich will uns ermutigen, das in aller Ernsthaftigkeit und dennoch ohne Verbissenheit zu tun – auch über den heutigen Tag hinaus. Wenn ich hier eingangs einige Überlegungen äußere, dann geht es mir dabei deshalb weniger um Vollständigkeit oder gar um eherne Weisheiten.

 

Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit eine politische Partei Erfolg bei Wahlen und in politischen Auseinandersetzungen haben kann? Ich glaube, sie muss erstens die Entschlossenheit ausstrahlen, gesellschaftliche Veränderungen bewirken zu wollen und zu können. Dazu gehört auch solidarische Geschlossenheit und politische Erkennbarkeit, die Identifikation ermöglicht. Sie braucht zweitens, und das hängt mit dem ersten zusammen, Konzepte und Ideen, die anschlussfähig sind an die Lebenslagen möglichst vieler Menschen. Heute geht das ohne partizipatorische und transparente Prozesse der Konzeptentwicklung überhaupt nicht mehr. Wir haben unser Wahlprogramm bereits in einer breiten Diskussion partizipatorisch entwickelt und am Ende bei nur 2 Gegenstimmen angenommen. Nur: Politik spielt sich ja nicht nur im Wahlprogramm ab. Deshalb muss eine erfolgreiche politische Partei drittens überzeugend sein, Menschen erreichen, in der Lebensrealität Vieler wahrnehmbar sein. An den Orten, wo sich Menschen in der Stadt bewegen, wo sie kommunizieren und interagieren, wo sich das Alltagsleben abspielt, muss sie eine Rolle spielen. Es gab einmal ein Wahlkampfbonbon, auf dessen Bonbonpapier stand: „In aller Munde. DIE LINKE“ – das drückt es wirklich in prägnanter Weise aus, was ich damit meine.

 

Was muss geschehen, damit wir diese drei Voraussetzungen erfüllen können, um politisch erfolgreich sein zu können, im wahrsten Sinne „in aller Munde“ zu sein?

 

Wir müssen über Politik reden. Das tun wir auf der stadtpolitischen Konferenz im Juni. Das tun wir aber auch heute, denn Organisation ist auch immer Politik – sie gehört dazu zur Fähigkeit, Veränderungsprozesse zu bewirken. Zunächst Prozesse der Entwicklung von Inhalten. Aber richtige Dinge auf ein Papier zu schreiben, genügt nicht und ist auch noch keine Politik. Daraus müssen politische Projekte werden, die Menschen bewegen, gesellschaftliche Unterstützung erzeugen, mobilisieren, Veränderungen herbeiführen. Ob uns das gelingt oder nicht, hängt auch und entscheidend davon ab, wie wir organisiert sind.

 

Das heißt: Wir müssen über organisatorische Defizite und Schwächen reden. Wir müssen über Kommunikation reden, die nicht mehr funktioniert – die vielleicht mal funktioniert hat, aber eben inzwischen so nicht mehr funktioniert. Damit meine ich nicht nur die Kommunikation zwischen uns, die gehört dazu, sicherlich. Ich meine vor allem aber auch die Kommunikationsprozesse mit der „politischen Außenwelt“ – mit der Stadt, den Berlinerinnen und Berlinern, den gesellschaftlichen Akteur*innen – und unsere Fähigkeit, Diskussionen zu initiieren und mitzubestimmen. Wenn wir linke Politik durchsetzen wollen, dann müssen wir dazu gesellschaftliche und politische Mehrheiten organisieren. Und natürlich haben sich mit dem Verlust von politischem Einfluss im Abgeordnetenhaus, den Bezirksverordnetenversammlungen und Bezirksämtern auch die politischen Voraussetzungen für unser Handeln verändert. Was bedeutet das für uns und was folgt daraus?

 

Aus all diesen Gründen diskutieren wir heute über unsere Art, miteinander Politik zu machen, über unsere Verfasstheit und politische Kultur, gemeinsame Lern- und Erfahrungsprozesse und Solidarität, über unsere parteiinternen Strukturen und unsere Mobilisierungsfähigkeit, über die Gewinnung von Mitgliedern und Möglichkeiten für sie, sich einzubringen, damit sie auch dabeibleiben.

 

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

 

in der Zwischenzeit sind wir natürlich politisch nicht stehengeblieben, und wir konnten das auch nicht. Die Privatisierung der S-Bahn ist fast schon beschlossene Sache, eine teure und überflüssige Autobahn wird gebaut, das Land Berlin tritt nicht mehr für den Mindestlohn ein, der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor (ÖBS), in dem Menschen existenzsichernd beschäftigt waren, wird zerschlagen, gegen die zunehmende Verdrängung von Menschen mit geringen und mittleren Einkommen aus den Innenstadtbezirken unternimmt der Senat nichts und verschärft sie durch die neue Rechtsverordnung Wohnen noch, in der Rechts-, Innen- und Integrationspolitik droht ein roll-back. Rassismus und Ausgrenzung fordern uns immer wieder heraus. Und nicht zuletzt befinden wir uns nach wie vor in einem massiven Krisenprozess, der gesellschaftliche Auseinandersetzungen um soziale Fragen und die Demokratie verschärft. Nicht wenige Menschen fragen sich, ob es noch die demokratischen Institutionen sind, die über die grundlegenden politischen Fragen entscheiden, oder die Kurse an der Börse und die Ratings der Finanzanalysten. Dass das eine durchaus wichtige Wahrnehmung ist, erleben wir.

 

Aus all diesen Gründen waren wir seit der Wahl nicht untätig, sondern wir haben uns mit viel Kraft engagiert: Wir arbeiten in Bündnissen mit, am S-Bahn-Tisch, am Energietisch, wo es um die Wiedergewinnung demokratischer Kontrolle über wichtige Gemeingüter geht. Wir treten im Parlament und darüber hinaus für die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe ein. Wir sind im Krisenbündnis dabei, haben uns gegen das ACTA-Abkommen eingesetzt und im Parlament Bürgerrechte und Demokratie zum Thema gemacht – vom „Staatstrojaner“ bis zu Handyortungen. Wir engagieren uns mit Beschäftigten für ihre Rechte – mit den Schlecker-Frauen, mit den Beschäftigten der Jobcenter, für Mindestlohn, Tarifverträge und bessere Arbeitsbedingungen. Wir sind vernetzt mit den abwicklungsbetroffenen ÖBS-Projekten. Wir kämpfen in den Bezirken und auf Landesebene für eine bessere Ausstattung der Bezirke und ihrer sozialen und Kulturlandschaft. Die Inbetriebnahme des Flughafens Schönefeld wird spürbar für Viele, deshalb engagieren wir uns mit Bürgerinitiativen in Sachen Flugrouten und Lärmschutz. Wir setzen uns für die Fortführung und Etablierung von Gemeinschaftsschulen ein, zum Beispiel in Reinickendorf, sowie für gute Hortbetreuung, auch in den Ferien. Gemeinsam mit Migrant*inneninitiativen setzen wir uns für eine Partizipations- und Flüchtlingspolitik ein, die diesen Namen verdient. Wir haben gemeinsam mit vielen Verbündeten den Naziaufmarsch in Dresden verhindert und setzen uns auch im Alltag für gesellschaftliche Offenheit und demokratisches Bewusstsein ein. Wir sind verankert in Homo- und Trans*communities und bestimmen die politischen Debatten in diesem Feld mit.

 

Als ich mir gestern Abend vor Augen geführt habe, was wir alles tun – und das ist ja hier nicht abschließend – mit der Zahl der Engagierten in unserem Landesverband, in Basisorganisationen, aber auch in Fraktionen und Vorständen, dann finde ich das trotz aller mancher Katerstimmung schon recht beachtlich. Ich erlebe immer noch einen großen Kreis sehr engagierter und auch motivierter Genossinnen und Genossen in den unterschiedlichsten inhaltlichen und stadtpolitischen Zusammenhängen.

 

Das müssen wir ausbauen und stärken, liebe Genossinnen und Genossen! Aber unsere Ressourcen sind nicht unendlich. Wir müssen sie sehr bewusst einsetzen – und das meine ich, wenn ich sage, Organisation ist Politik bzw. die Fähigkeit zur politischen Intervention wird ganz wesentlich vom Zustand und den Strukturen einer Organisation bestimmt. Wir sind nun wirklich nicht in einem blendenden Zustand. Besser zu werden heißt deshalb für mich nicht, in blinden Aktionismus und ausufernden Sitzungssozialismus zu verfallen. Wenn wir unsere Kräfte und Ressourcen vornehmlich dafür einsetzen, werden sie für die anderen Aktivitäten fehlen. Ich wünsche mir einen ernsthaften und kontinuierlichen Veränderungsprozess, einen Lernprozess, der uns allen viel Engagement und Kraft abverlangen wird. Aber ich sehe das auch mit Blick auf die bevorstehenden Herausforderungen. Spätestens im nächsten Jahr werden wir Bundestagswahlen haben. Gegenwärtig helfen auch wir Berlinerinnen und Berliner den wahlkämpfenden Genoss*innen in NRW und Schleswig-Holstein. Das werden ganz wichtige Wahlen für uns und ich wünsche mir, dass unser Landesverband eine wichtige Rolle in unserer Gesamtpartei spielt, damit DIE LINKE soziale Themen und die Stärkung demokratischer Institutionen gegen ökonomische Macht international und auch hier in Berlin erfolgreich auf die politische Agenda bringt. Wenn der gegenwärtigen Entdemokratisierung etwas entgegengesetzt werden soll, braucht es starke linke Positionen. Ich wünsche mir, dass unsere Inhalte sich stärker in den verschiedenen produktiven und regsamen gesellschaftlichen Widerständen gegen herrschende Politik wiederfinden – und dass wir uns auch offen zeigen für die Kontroversen und Positionen, die sich dort artikulieren. Wenn wir all das bewältigen wollen, müssen wir unsere Kraft zielgerichtet einsetzen. Das erfordert die Verständigung über Prioritäten. Das erfordert gut funktionierende und schnell lernende Strukturen, in denen wir uns organisieren, miteinander kommunizieren, politische Aktivität entfalten.

 

Dazu können wir alle etwas leisten und wir alle müssen das auch. In einer Weise, die unsere Motivation zum politischen Engagement erhöht und die ausstrahlt, dass wir miteinander etwas anfangen können und auch wollen. Deshalb erfordert ein solcher Prozess Respekt und Solidarität als Grundvoraussetzung. Ohne Respekt und Solidarität wird es nichts werden.

 

Derzeit profitieren wir in der ganzen Republik nicht von unserem Engagement. Das hat sicherlich auch inhaltliche Gründe. Aber es liegt auch in unserer derzeitigen politischen Kultur begründet. Ich behaupte: wenn öffentlich der Eindruck entsteht, dass ein Teil unserer Partei gegen einen anderen Teil unserer Partei kämpft, dann strahlen wir das nicht aus, dass wir miteinander etwas anfangen wollen – und dass es sich lohnen kann und Sinn hat, linke Politik zu machen. Wir müssen uns dafür nicht mal groß öffentlich verzanken. Das vermittelt sich schon über Stimmungen, Umgangsformen, menschliches Miteinander – das sind die nonverbalen Bestandteile, die jeder verbalen Kommunikation anhaften.

 

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

 

deshalb will ich dazu noch etwas sagen.

 

Erstens: Wir haben als Landesebene in unseren verschiedenen Beiträgen zur Wahlauswertung eine Reihe eigener Schwächen und Probleme thematisiert. Das geschah gerade auch mit dem Ziel, eine offene und ehrliche Auseinandersetzung in einem Prozess zu ermöglichen, in dem jede und jeder Einzelne schaut, was sie oder er vielleicht beizutragen vermag, dass wir insgesamt besser werden. Diese ziemlich schonungslose Benennung von Defiziten war notwendig, das wird auch weiterhin notwendig sein. Ich finde, das hat auch schon zur Bearbeitung einer Reihe von Defiziten in der Sache geführt. Das ist gut.

 

Es gibt aber auch einen anderen Trend, der in der Akkumulation von Schuldzuweisungen, im Abfordern von Schuldbekenntnissen und wenig nachhaltigen politischen Aktivitäten besteht. Das verbindet sich regelmäßig mit eindimensionalen Ursachenzuschreibungen für unser Wahlergebnis. Klar hat die Regierungsbeteiligung sich auf unser Wahlergebnis ausgewirkt, klar haben Fraktion und Landesvorstand nicht in jeder Situation immer richtig gelegen. Aber wenn wir nicht aufhören, die Probleme unserer Landespartei ausschließlich in „Missetaten“ des Landesvorstands oder der Fraktion, wahlweise von anderen Leitungen oder Repräsentanten zu sehen, dann werden wir nicht besser werden. Und auch der vermeintliche Gegensatz zwischen Parlamentarismus und außerparlamentarischem Engagement ist ein Popanz, den wir aufhören sollten zu pflegen. Das zeigt sich schon daran, dass wir als Partei augenblicklich nicht nur in Berlin manch Problem zu bewältigen haben, an Zustimmung und Interesse verlieren, um unsere Mobilisierung und unsere Wählerinnen und Wähler sehr viel stärker kämpfen müssen als noch in den ersten, enthusiastischen Jahren der Parteineubildung. Ob Saarland oder Berlin, ob als Gesamtpartei oder in der Kommune – wir stehen augenblicklich insgesamt nicht so da, wie wir es uns sicherlich alle wünschen würden oder für notwendig hielten.

 

Leitungen müssen sicherlich Kritik aushalten, auch mal saftige. Aber auch sie bauen nicht nur Mist und sitzen herum, um den Rest der Mitgliedschaft zu kujonieren. Auch Genoss*innen, die für Gremien kandidieren, haben Anspruch auf Respekt und Solidarität. Auch sie streiten im Bemühen um bessere Lösungen und größeren politischen Erfolg unserer Partei. Ihre Sichtweisen und Positionen sind deshalb auch nicht zweitklassig, sondern genauso legitim und wie respektabel wie die jedes anderen Mitglieds auch. Wenn ich inzwischen von ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern höre, sie denken darüber nach, nicht wieder für ein solches Amt zu kandidieren, weil sie diese politische Kultur nicht mehr aushalten, dann finde ich das zutiefst bedenklich. Das demotiviert und demobilisiert – und führt damit genau zum Gegenteil dessen, was wir dringend brauchen. Gleiches gilt auch für die bei der Landesorganisation hauptamtlich Beschäftigten.

 

Der Gegensatz zwischen „die da oben“ und „wir hier unten“, „Funktionären“ und „Basis“ bringt uns im Übrigen nicht nur nicht weiter. Er stimmt in der Praxis auch nicht und ist zutiefst unfair. Es gibt genügend Aktivitäten, ob Antifa-Demos oder Streik-Soliaktionen, auf denen ich inzwischen manchmal mehr „Funktionäre“, Abgeordnete oder Bezirksverordnete, Vorstandsmitglieder – fast alle ehrenamtlich, sehe als andere Genoss*innen. Das ist ja vielleicht auch ein Teil unseres Mobilisierungs- und Ressourcenproblems, das können wir doch mal anerkennen.

 

Ganz verrückt wird es dann, wenn mir Bezirksvorstandsmitglieder, Landesausschussmitglieder, langjährige Mitglieder des Abgeordnetenhauses erklären: wir repräsentieren die Position „der Basis“ – Ihr bzw. du nicht! Was soll denn diese Veredelung der eigenen Rolle? Werden dadurch die Argumente gehaltvoller?

 

Zweitens, und das hängt mit diesem vermeintlich fundamentalen Basis-Funktionäre-Gegensatz zusammen, das ist der inzwischen schon sprichwörtliche „Top-Down“-Prozess: Zu Recht wird Beteiligung eingeklagt. Und es ist richtig, dass wir über die Möglichkeiten politischer Beteiligung nachdenken und auch streiten. Aber ich finde, zu einer gründlichen Bestandsaufnahme gehört auch dazu, zu fragen, welche Beteiligungsformen existieren und als Raum für Politik- und Aktivitätsentwicklungen genutzt werden können und auch sollen. Ich kann mich erinnern, dass wir schon seit mindestens zehn Jahren immer mal wieder verschiedene neue Formen der partizipatorischen Politikentwicklung, thematische und eher allgemeine, ausprobiert haben – von Strategieforen über Arbeitsgemeinschaften und Projektgruppen. Die haben immer am Anfang sehr viel Aufmerksamkeit und Engagement auf sich gezogen, dann eine Weile mehr schlecht als recht funktioniert und sind nicht selten irgendwann eingeschlafen. Irgendwann hatte sich dann die Energie offenbar erschöpft. Warum ist das so, was können wir tun, um nachhaltigere Beteiligungsformen zu entwickeln und auszubauen?

 

Ich will auch noch mal betonen, dass es hierfür nicht immer eine Einladung des Landesvorstands bedarf. Unsere Partei gibt das satzungsmäßige Recht und die politischen Räume zur Selbstorganisation – und sie geschieht auch. Davon kann es mehr geben. Und schließlich genügt es nicht, Beteiligung immer nur einzuklagen, sondern sie muss dann tatsächlich auch stattfinden, und nicht nur mal spontan und aktionistisch, sondern kontinuierlich. Da müssen wir uns einfach selbst ernster nehmen, und jede und jeder mit den eigenen Kräften haushalten. Auch hier, das will ich noch einmal betonen, haben wir es nicht nur mit einem berlinspezifischen Problem zu tun. Auch das, ich kann es Euch versichern, beschäftigt gegenwärtig die Genoss*innen in allen Landesverbänden unserer Partei.

 

Drittens, und das bitte ich jetzt ganz ernst zu nehmen: Zur Solidarität gehört auch, fair zu bleiben. Und das betrifft die Form der Kritik am Gegenüber und des Umgangs. Wenn ich lese: „Die Ausgrenzung der Kritiker der bisherigen Politik des Landesvorstands muss ein Ende haben.“, dann frage ich mich, weil das ja da nicht steht: Wer grenzt hier Kritiker der bisherigen Politik des Landesvorstands aus – und welche konkrete „Politik“ ist damit genau gemeint? Denn mit einer Kritik kann ich mich dann auseinandersetzen, wenn sie ausreichend konkret ist, dass sie eine Debatte und eine Erfahrung ermöglicht. Daran mangelt es. Ich stelle deshalb die Frage: Wo werden von wem hier im Landesverband Kritiker ausgegrenzt? In einer Abstimmung zu unterliegen, in ein Mandat oder Amt nicht gewählt zu werden, mit einer eigenen Idee nicht immer sofort und prioritär durchzudringen – das ist keine Ausgrenzung, sondern der ganz normale demokratische Prozess.

 

Das kennt doch jeder: Ich kann Recht haben und in einer Abstimmung unterliegen – die Mehrheit kann sich irren, manchmal stellt sich das Jahre später heraus. Vielleicht waren meine Argumente nicht ausreichend und überzeugend. Vielleicht habe ich aber auch einfach selbst falschgelegen und stelle das später erst fest. Das alles kann in der demokratischen Auseinandersetzung passieren – mir geschieht das auch in der einen oder anderen Frage. Deshalb meine Bitte zur politischen Kultur: Der Vorwurf der Ausgrenzung, quasi der Debattenunterdrückung oder Zensur, wiegt so schwer, dass ich finde, er muss konkret gemacht werden, damit darüber eine Diskussion möglich wird. Und ich wünsche mir dann auch, dass die alternativen Ideen und Konzepte zur Debatte gestellt, die Differenzen benannt und dann offen miteinander diskutiert werden, Transparenz tatsächlich in alle Richtungen herrscht, der direkte Draht gesucht und nicht an Formalien entlang die Auseinandersetzung geführt wird. Denn das ist zermürbend, aufreibend und letztlich auch nicht fruchtbringend. Schließlich haben Eiferei, Rechthaberei und Schuldigensuche in einem wirklich solidarischen Lernprozess nichts zu suchen. Wer hier im Raum für sich in Anspruch nimmt, keine Fragen mehr, aber alle Antworten zu haben, kann sich ja jetzt gern mal melden…

 

Wir müssen raus aus der gesellschaftlichen Schmollecke und wir müssen aufhören, in innerparteiliche Schmollecken zu flüchten. Und wir müssen wieder eins lernen: diesen Prozess unserer Selbstveränderung als interessanten, lebendigen politischen Erfahrungsprozess für jede und jeden Einzelnen zu gestalten, ihn mit Zuversicht verbinden, die wir selbst haben und ausstrahlen. Weil wir interessant sind für uns selbst und für andere, und weil wir gemeinsam kleine oder vielleicht auch mal wieder größere Erfolge haben. Dafür sollten wir unsere ganze Energie verwenden, trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen, die wir noch zu bewältigen haben.

 

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

 

wir sollten uns schließlich vor Augen halten, dass wir auch durch noch so gute Politik und Organisation im Landesverband allein Erfolg nicht garantieren können. Nicht alles hängt nur von uns ab.

 

Wir hatten eine regelrechte Euphorie, eine sehr erfolgreiche Zeit von 2005 bis in das Jahr 2009. Das war eine Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung, der positiven Ausstrahlung und der Zuversicht. Damit war auch die Projektion von ganz vielen Erwartungen verbunden. Nicht alle haben sich erfüllt, nicht alle konnten und können wir erfüllen. Etwas Ähnliches erleben derzeit die „Piraten“, und so etwas kann eine ganze Weile anhalten. Aber es geht eben nicht automatisch und ewig so weiter. Dazu kommen gesellschaftliche Großtrends und Hypes, reale einschneidende Veränderungen und Ereignisse, die auf gesellschaftliche Debatten und Prioritäten, auf Ängste und Hoffnungen vieler Menschen wirken. Schließlich gibt es auch erschöpfte Durststrecken, und natürlich auch andere einflussstarke gesellschaftliche Kräfte, die es leichter haben, im öffentlichen Diskurs durchzudringen.

 

Wir erfahren das jetzt. Jetzt sind wir in den Mühen der Ebenen, in Klärungsprozessen, in mancher strategischer und struktureller Schwierigkeit. DIE LINKE steht doch derzeit insgesamt nicht besonders gut da; auch das ist ja nichts, was wir derzeit nur in Berlin erleben. Politik ist die Antwort.

 

Individuelle Selbstbestimmung und Solidarität, soziale Gerechtigkeit und ökologische Vernunft, Freiheit zur Gestaltung des eigenen Lebens und demokratische Teilhabe für Alle, das sind unsere Themen. Und diese Themen haben Raum und Resonanzboden in der Gesellschaft – machen wir was draus! Als wir unser Parteiprogramm verabschiedet haben, gelang uns, Handlungsfähigkeit zu beweisen und persönliche Befindlichkeiten und Selbstbefassung nach hinten zu stellen.

 

Schließlich scheint mir ganz klar, dass uns gegenwärtig viele Menschen zwar bescheinigen, gesellschaftliche Widersprüche richtig zu benennen. Gebrauchswert und Problemlösungskompetenz bescheinigen sie uns jedoch nicht, und die Bereitschaft, uns zu wählen, nimmt ab. Ein Beispiel zeigt, dass wir da rauskommen können. Die Gründung einer Genossenschaft FAIRWOHNEN durch Genoss*innen unserer Partei hat ein Problem auf die Tagesordnung gesetzt und einen praktikablen Lösungsvorschlag präsentiert. Und der wurde wahrgenommen, und er wurde auch ernst genommen. Das ist das Rezept, auf das wir setzen sollten, liebe Genossinnen und Genossen. Davon wünsche ich mir mehr, in den Basisorganisationen und Bezirken, auf Landesebene, in Fraktionen und Arbeitsgemeinschaften, in unserer ganzen Partei. Und ich wünsche uns, dass wir heute dafür einen Beitrag leisten, dass wir das wieder besser hinbekommen!


Basiskonferenz DIE LINKE. Berlin


Eröffnungsbeitrag von Dr. Klaus Lederer, MdA


– Manuskript. Es gilt das gesprochene Wort! –


Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Gäste,

auf unserem Parteitag am 26. November 2011 haben wir intensiv über unser Wahlergebnis diskutiert. Wir haben resümiert: Keines unserer Wahlziele haben wir erreicht. Dafür haben wir Ursachen benannt. Unsere Inhalte, unsere politische Praxis und Ausstrahlung reichten nicht aus, um die Berlinwahl erfolgreich zu bestreiten. Auf diesem Parteitag haben wir auch festgelegt, dass wir Arbeitsprozesse zur organisatorischen und inhaltlichen Verbesserung unserer politischen Arbeit initiieren wollen – begleitet über Steuerungs- und Arbeitsgruppen, die offen und kontinuierlich arbeiten, durch projektbezogene Arbeit, aber auch durch Tagungen und Konferenzen.

Ein erster wichtiger Strang war die Vorbereitung einer nicht nur im parteiinternen Rahmen angelegten Diskussion darüber, wie wir uns Berlin in der Zukunft vorstellen und welche originär linken politischen Konzepte und Ideen wir für eine soziale, demokratische und weltoffene Metropole Berlin gemeinsam mit Bündnispartnern in der Stadtgesellschaft in die politische Auseinandersetzung einbringen.

Wir bereiten mit Mitstreiter*innen aus den Bezirken, Landesarbeitsgemeinschaften und von der Linksjugend eine stadtpolitische Konferenz für den 9. Juni vor, die Einladung dafür ist im Netz bereits zu finden. Eine Idee von Berlin 2030 und umsetzungsfähige, konkrete Alternativen werden dort nicht schon abschließend entwickelt. Aber ich hoffe, dass diese Konferenz ein Erfolg wird – ein Auftakt für spannende Diskussionen, für mobilisierende und kreative politische Prozesse, die Lust machen auf Veränderung und Einmischung „von links“.

Ein zweiter wichtiger Strang unserer Diskussion war die Verbesserung unserer politischen Strukturen, Kommunikation und Kultur, der Nutzung der Potenziale unserer Mitgliedschaft und unserer Verbündeten – unserer ganz praktischen Fähigkeit, durch Aktion in politische Auseinandersetzungen einzugreifen. In der Zwischenzeit hat es eine Reihe weiterer Beratungen und Diskussionen dazu gegeben. Wir haben Beiträge, Stellungnahmen, Positionen dokumentiert und ausgewertet. Unsere heutige Basiskonferenz soll diesen Diskussions- und Selbstveränderungsprozess vorwärtstreiben, ein weiterer Schritt sein, damit wir zukünftig besser, politischer, spannender, erfolgreicher werden. Wir wollen hier und nachher in Workshops miteinander diskutieren, Erfahrungen und Erfolgskonzepte austauschen, Defizite aufarbeiten und überwinden. Die Ergebnisse werden dokumentiert und dienen uns für organisationspolitische Schlussfolgerungen und Entscheidungen, die im Landesverband und in den Bezirksverbänden zu treffen sind, aber auch als Inspiration für selbstorganisierte Aktivitäten, für Erneuerung und gemeinsames Lernen und Kämpfen.

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

die bisherigen Diskussionen haben uns alle zum Lernen gezwungen, zum Zuhören, Nachdenken und zur Reflexion. Das gilt für mich wie für jede und jeden anderen hier im Saal. Wir sind hier, weil wir uns Sorgen und Gedanken machen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Ich will uns ermutigen, das in aller Ernsthaftigkeit und dennoch ohne Verbissenheit zu tun – auch über den heutigen Tag hinaus. Wenn ich hier eingangs einige Überlegungen äußere, dann geht es mir dabei deshalb weniger um Vollständigkeit oder gar um eherne Weisheiten.

Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit eine politische Partei Erfolg bei Wahlen und in politischen Auseinandersetzungen haben kann? Ich glaube, sie muss erstens die Entschlossenheit ausstrahlen, gesellschaftliche Veränderungen bewirken zu wollen und zu können. Dazu gehört auch solidarische Geschlossenheit und politische Erkennbarkeit, die Identifikation ermöglicht. Sie braucht zweitens, und das hängt mit dem ersten zusammen, Konzepte und Ideen, die anschlussfähig sind an die Lebenslagen möglichst vieler Menschen. Heute geht das ohne partizipatorische und transparente Prozesse der Konzeptentwicklung überhaupt nicht mehr. Wir haben unser Wahlprogramm bereits in einer breiten Diskussion partizipatorisch entwickelt und am Ende bei nur 2 Gegenstimmen angenommen. Nur: Politik spielt sich ja nicht nur im Wahlprogramm ab. Deshalb muss eine erfolgreiche politische Partei drittens überzeugend sein, Menschen erreichen, in der Lebensrealität Vieler wahrnehmbar sein. An den Orten, wo sich Menschen in der Stadt bewegen, wo sie kommunizieren und interagieren, wo sich das Alltagsleben abspielt, muss sie eine Rolle spielen. Es gab einmal ein Wahlkampfbonbon, auf dessen Bonbonpapier stand: „In aller Munde. DIE LINKE“ – das drückt es wirklich in prägnanter Weise aus, was ich damit meine.

Was muss geschehen, damit wir diese drei Voraussetzungen erfüllen können, um politisch erfolgreich sein zu können, im wahrsten Sinne „in aller Munde“ zu sein?

Wir müssen über Politik reden. Das tun wir auf der stadtpolitischen Konferenz im Juni. Das tun wir aber auch heute, denn Organisation ist auch immer Politik – sie gehört dazu zur Fähigkeit, Veränderungsprozesse zu bewirken. Zunächst Prozesse der Entwicklung von Inhalten. Aber richtige Dinge auf ein Papier zu schreiben, genügt nicht und ist auch noch keine Politik. Daraus müssen politische Projekte werden, die Menschen bewegen, gesellschaftliche Unterstützung erzeugen, mobilisieren, Veränderungen herbeiführen. Ob uns das gelingt oder nicht, hängt auch und entscheidend davon ab, wie wir organisiert sind.

Das heißt: Wir müssen über organisatorische Defizite und Schwächen reden. Wir müssen über Kommunikation reden, die nicht mehr funktioniert – die vielleicht mal funktioniert hat, aber eben inzwischen so nicht mehr funktioniert. Damit meine ich nicht nur die Kommunikation zwischen uns, die gehört dazu, sicherlich. Ich meine vor allem aber auch die Kommunikationsprozesse mit der „politischen Außenwelt“ – mit der Stadt, den Berlinerinnen und Berlinern, den gesellschaftlichen Akteur*innen – und unsere Fähigkeit, Diskussionen zu initiieren und mitzubestimmen. Wenn wir linke Politik durchsetzen wollen, dann müssen wir dazu gesellschaftliche und politische Mehrheiten organisieren. Und natürlich haben sich mit dem Verlust von politischem Einfluss im Abgeordnetenhaus, den Bezirksverordnetenversammlungen und Bezirksämtern auch die politischen Voraussetzungen für unser Handeln verändert. Was bedeutet das für uns und was folgt daraus?

Aus all diesen Gründen diskutieren wir heute über unsere Art, miteinander Politik zu machen, über unsere Verfasstheit und politische Kultur, gemeinsame Lern- und Erfahrungsprozesse und Solidarität, über unsere parteiinternen Strukturen und unsere Mobilisierungsfähigkeit, über die Gewinnung von Mitgliedern und Möglichkeiten für sie, sich einzubringen, damit sie auch dabeibleiben.

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

in der Zwischenzeit sind wir natürlich politisch nicht stehengeblieben, und wir konnten das auch nicht. Die Privatisierung der S-Bahn ist fast schon beschlossene Sache, eine teure und überflüssige Autobahn wird gebaut, das Land Berlin tritt nicht mehr für den Mindestlohn ein, der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor (ÖBS), in dem Menschen existenzsichernd beschäftigt waren, wird zerschlagen, gegen die zunehmende Verdrängung von Menschen mit geringen und mittleren Einkommen aus den Innenstadtbezirken unternimmt der Senat nichts und verschärft sie durch die neue Rechtsverordnung Wohnen noch, in der Rechts-, Innen- und Integrationspolitik droht ein roll-back. Rassismus und Ausgrenzung fordern uns immer wieder heraus. Und nicht zuletzt befinden wir uns nach wie vor in einem massiven Krisenprozess, der gesellschaftliche Auseinandersetzungen um soziale Fragen und die Demokratie verschärft. Nicht wenige Menschen fragen sich, ob es noch die demokratischen Institutionen sind, die über die grundlegenden politischen Fragen entscheiden, oder die Kurse an der Börse und die Ratings der Finanzanalysten. Dass das eine durchaus wichtige Wahrnehmung ist, erleben wir.

Aus all diesen Gründen waren wir seit der Wahl nicht untätig, sondern wir haben uns mit viel Kraft engagiert: Wir arbeiten in Bündnissen mit, am S-Bahn-Tisch, am Energietisch, wo es um die Wiedergewinnung demokratischer Kontrolle über wichtige Gemeingüter geht. Wir treten im Parlament und darüber hinaus für die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe ein. Wir sind im Krisenbündnis dabei, haben uns gegen das ACTA-Abkommen eingesetzt und im Parlament Bürgerrechte und Demokratie zum Thema gemacht – vom „Staatstrojaner“ bis zu Handyortungen. Wir engagieren uns mit Beschäftigten für ihre Rechte – mit den Schlecker-Frauen, mit den Beschäftigten der Jobcenter, für Mindestlohn, Tarifverträge und bessere Arbeitsbedingungen. Wir sind vernetzt mit den abwicklungsbetroffenen ÖBS-Projekten. Wir kämpfen in den Bezirken und auf Landesebene für eine bessere Ausstattung der Bezirke und ihrer sozialen und Kulturlandschaft. Die Inbetriebnahme des Flughafens Schönefeld wird spürbar für Viele, deshalb engagieren wir uns mit Bürgerinitiativen in Sachen Flugrouten und Lärmschutz. Wir setzen uns für die Fortführung und Etablierung von Gemeinschaftsschulen ein, zum Beispiel in Reinickendorf, sowie für gute Hortbetreuung, auch in den Ferien. Gemeinsam mit Migrant*inneninitiativen setzen wir uns für eine Partizipations- und Flüchtlingspolitik ein, die diesen Namen verdient. Wir haben gemeinsam mit vielen Verbündeten den Naziaufmarsch in Dresden verhindert und setzen uns auch im Alltag für gesellschaftliche Offenheit und demokratisches Bewusstsein ein. Wir sind verankert in Homo- und Trans*communities und bestimmen die politischen Debatten in diesem Feld mit.

Als ich mir gestern Abend vor Augen geführt habe, was wir alles tun – und das ist ja hier nicht abschließend – mit der Zahl der Engagierten in unserem Landesverband, in Basisorganisationen, aber auch in Fraktionen und Vorständen, dann finde ich das trotz aller mancher Katerstimmung schon recht beachtlich. Ich erlebe immer noch einen großen Kreis sehr engagierter und auch motivierter Genossinnen und Genossen in den unterschiedlichsten inhaltlichen und stadtpolitischen Zusammenhängen.

Das müssen wir ausbauen und stärken, liebe Genossinnen und Genossen! Aber unsere Ressourcen sind nicht unendlich. Wir müssen sie sehr bewusst einsetzen – und das meine ich, wenn ich sage, Organisation ist Politik bzw. die Fähigkeit zur politischen Intervention wird ganz wesentlich vom Zustand und den Strukturen einer Organisation bestimmt. Wir sind nun wirklich nicht in einem blendenden Zustand. Besser zu werden heißt deshalb für mich nicht, in blinden Aktionismus und ausufernden Sitzungssozialismus zu verfallen. Wenn wir unsere Kräfte und Ressourcen vornehmlich dafür einsetzen, werden sie für die anderen Aktivitäten fehlen. Ich wünsche mir einen ernsthaften und kontinuierlichen Veränderungsprozess, einen Lernprozess, der uns allen viel Engagement und Kraft abverlangen wird. Aber ich sehe das auch mit Blick auf die bevorstehenden Herausforderungen. Spätestens im nächsten Jahr werden wir Bundestagswahlen haben. Gegenwärtig helfen auch wir Berlinerinnen und Berliner den wahlkämpfenden Genoss*innen in NRW und Schleswig-Holstein. Das werden ganz wichtige Wahlen für uns und ich wünsche mir, dass unser Landesverband eine wichtige Rolle in unserer Gesamtpartei spielt, damit DIE LINKE soziale Themen und die Stärkung demokratischer Institutionen gegen ökonomische Macht international und auch hier in Berlin erfolgreich auf die politische Agenda bringt. Wenn der gegenwärtigen Entdemokratisierung etwas entgegengesetzt werden soll, braucht es starke linke Positionen. Ich wünsche mir, dass unsere Inhalte sich stärker in den verschiedenen produktiven und regsamen gesellschaftlichen Widerständen gegen herrschende Politik wiederfinden – und dass wir uns auch offen zeigen für die Kontroversen und Positionen, die sich dort artikulieren. Wenn wir all das bewältigen wollen, müssen wir unsere Kraft zielgerichtet einsetzen. Das erfordert die Verständigung über Prioritäten. Das erfordert gut funktionierende und schnell lernende Strukturen, in denen wir uns organisieren, miteinander kommunizieren, politische Aktivität entfalten.

Dazu können wir alle etwas leisten und wir alle müssen das auch. In einer Weise, die unsere Motivation zum politischen Engagement erhöht und die ausstrahlt, dass wir miteinander etwas anfangen können und auch wollen. Deshalb erfordert ein solcher Prozess Respekt und Solidarität als Grundvoraussetzung. Ohne Respekt und Solidarität wird es nichts werden.

Derzeit profitieren wir in der ganzen Republik nicht von unserem Engagement. Das hat sicherlich auch inhaltliche Gründe. Aber es liegt auch in unserer derzeitigen politischen Kultur begründet. Ich behaupte: wenn öffentlich der Eindruck entsteht, dass ein Teil unserer Partei gegen einen anderen Teil unserer Partei kämpft, dann strahlen wir das nicht aus, dass wir miteinander etwas anfangen wollen – und dass es sich lohnen kann und Sinn hat, linke Politik zu machen. Wir müssen uns dafür nicht mal groß öffentlich verzanken. Das vermittelt sich schon über Stimmungen, Umgangsformen, menschliches Miteinander – das sind die nonverbalen Bestandteile, die jeder verbalen Kommunikation anhaften.

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

deshalb will ich dazu noch etwas sagen.

Erstens: Wir haben als Landesebene in unseren verschiedenen Beiträgen zur Wahlauswertung eine Reihe eigener Schwächen und Probleme thematisiert. Das geschah gerade auch mit dem Ziel, eine offene und ehrliche Auseinandersetzung in einem Prozess zu ermöglichen, in dem jede und jeder Einzelne schaut, was sie oder er vielleicht beizutragen vermag, dass wir insgesamt besser werden. Diese ziemlich schonungslose Benennung von Defiziten war notwendig, das wird auch weiterhin notwendig sein. Ich finde, das hat auch schon zur Bearbeitung einer Reihe von Defiziten in der Sache geführt. Das ist gut.

Es gibt aber auch einen anderen Trend, der in der Akkumulation von Schuldzuweisungen, im Abfordern von Schuldbekenntnissen und wenig nachhaltigen politischen Aktivitäten besteht. Das verbindet sich regelmäßig mit eindimensionalen Ursachenzuschreibungen für unser Wahlergebnis. Klar hat die Regierungsbeteiligung sich auf unser Wahlergebnis ausgewirkt, klar haben Fraktion und Landesvorstand nicht in jeder Situation immer richtig gelegen. Aber wenn wir nicht aufhören, die Probleme unserer Landespartei ausschließlich in „Missetaten“ des Landesvorstands oder der Fraktion, wahlweise von anderen Leitungen oder Repräsentanten zu sehen, dann werden wir nicht besser werden. Und auch der vermeintliche Gegensatz zwischen Parlamentarismus und außerparlamentarischem Engagement ist ein Popanz, den wir aufhören sollten zu pflegen. Das zeigt sich schon daran, dass wir als Partei augenblicklich nicht nur in Berlin manch Problem zu bewältigen haben, an Zustimmung und Interesse verlieren, um unsere Mobilisierung und unsere Wählerinnen und Wähler sehr viel stärker kämpfen müssen als noch in den ersten, enthusiastischen Jahren der Parteineubildung. Ob Saarland oder Berlin, ob als Gesamtpartei oder in der Kommune – wir stehen augenblicklich insgesamt nicht so da, wie wir es uns sicherlich alle wünschen würden oder für notwendig hielten.

Leitungen müssen sicherlich Kritik aushalten, auch mal saftige. Aber auch sie bauen nicht nur Mist und sitzen herum, um den Rest der Mitgliedschaft zu kujonieren. Auch Genoss*innen, die für Gremien kandidieren, haben Anspruch auf Respekt und Solidarität. Auch sie streiten im Bemühen um bessere Lösungen und größeren politischen Erfolg unserer Partei. Ihre Sichtweisen und Positionen sind deshalb auch nicht zweitklassig, sondern genauso legitim und wie respektabel wie die jedes anderen Mitglieds auch. Wenn ich inzwischen von ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern höre, sie denken darüber nach, nicht wieder für ein solches Amt zu kandidieren, weil sie diese politische Kultur nicht mehr aushalten, dann finde ich das zutiefst bedenklich. Das demotiviert und demobilisiert – und führt damit genau zum Gegenteil dessen, was wir dringend brauchen. Gleiches gilt auch für die bei der Landesorganisation hauptamtlich Beschäftigten.

Der Gegensatz zwischen „die da oben“ und „wir hier unten“, „Funktionären“ und „Basis“ bringt uns im Übrigen nicht nur nicht weiter. Er stimmt in der Praxis auch nicht und ist zutiefst unfair. Es gibt genügend Aktivitäten, ob Antifa-Demos oder Streik-Soliaktionen, auf denen ich inzwischen manchmal mehr „Funktionäre“, Abgeordnete oder Bezirksverordnete, Vorstandsmitglieder – fast alle ehrenamtlich, sehe als andere Genoss*innen. Das ist ja vielleicht auch ein Teil unseres Mobilisierungs- und Ressourcenproblems, das können wir doch mal anerkennen.

Ganz verrückt wird es dann, wenn mir Bezirksvorstandsmitglieder, Landesausschussmitglieder, langjährige Mitglieder des Abgeordnetenhauses erklären: wir repräsentieren die Position „der Basis“ – Ihr bzw. du nicht! Was soll denn diese Veredelung der eigenen Rolle? Werden dadurch die Argumente gehaltvoller?

Zweitens, und das hängt mit diesem vermeintlich fundamentalen Basis-Funktionäre-Gegensatz zusammen, das ist der inzwischen schon sprichwörtliche „Top-Down“-Prozess: Zu Recht wird Beteiligung eingeklagt. Und es ist richtig, dass wir über die Möglichkeiten politischer Beteiligung nachdenken und auch streiten. Aber ich finde, zu einer gründlichen Bestandsaufnahme gehört auch dazu, zu fragen, welche Beteiligungsformen existieren und als Raum für Politik- und Aktivitätsentwicklungen genutzt werden können und auch sollen. Ich kann mich erinnern, dass wir schon seit mindestens zehn Jahren immer mal wieder verschiedene neue Formen der partizipatorischen Politikentwicklung, thematische und eher allgemeine, ausprobiert haben – von Strategieforen über Arbeitsgemeinschaften und Projektgruppen. Die haben immer am Anfang sehr viel Aufmerksamkeit und Engagement auf sich gezogen, dann eine Weile mehr schlecht als recht funktioniert und sind nicht selten irgendwann eingeschlafen. Irgendwann hatte sich dann die Energie offenbar erschöpft. Warum ist das so, was können wir tun, um nachhaltigere Beteiligungsformen zu entwickeln und auszubauen?

Ich will auch noch mal betonen, dass es hierfür nicht immer eine Einladung des Landesvorstands bedarf. Unsere Partei gibt das satzungsmäßige Recht und die politischen Räume zur Selbstorganisation – und sie geschieht auch. Davon kann es mehr geben. Und schließlich genügt es nicht, Beteiligung immer nur einzuklagen, sondern sie muss dann tatsächlich auch stattfinden, und nicht nur mal spontan und aktionistisch, sondern kontinuierlich. Da müssen wir uns einfach selbst ernster nehmen, und jede und jeder mit den eigenen Kräften haushalten. Auch hier, das will ich noch einmal betonen, haben wir es nicht nur mit einem berlinspezifischen Problem zu tun. Auch das, ich kann es Euch versichern, beschäftigt gegenwärtig die Genoss*innen in allen Landesverbänden unserer Partei.

Drittens, und das bitte ich jetzt ganz ernst zu nehmen: Zur Solidarität gehört auch, fair zu bleiben. Und das betrifft die Form der Kritik am Gegenüber und des Umgangs. Wenn ich lese: „Die Ausgrenzung der Kritiker der bisherigen Politik des Landesvorstands muss ein Ende haben.“, dann frage ich mich, weil das ja da nicht steht: Wer grenzt hier Kritiker der bisherigen Politik des Landesvorstands aus – und welche konkrete „Politik“ ist damit genau gemeint? Denn mit einer Kritik kann ich mich dann auseinandersetzen, wenn sie ausreichend konkret ist, dass sie eine Debatte und eine Erfahrung ermöglicht. Daran mangelt es. Ich stelle deshalb die Frage: Wo werden von wem hier im Landesverband Kritiker ausgegrenzt? In einer Abstimmung zu unterliegen, in ein Mandat oder Amt nicht gewählt zu werden, mit einer eigenen Idee nicht immer sofort und prioritär durchzudringen – das ist keine Ausgrenzung, sondern der ganz normale demokratische Prozess.

Das kennt doch jeder: Ich kann Recht haben und in einer Abstimmung unterliegen – die Mehrheit kann sich irren, manchmal stellt sich das Jahre später heraus. Vielleicht waren meine Argumente nicht ausreichend und überzeugend. Vielleicht habe ich aber auch einfach selbst falschgelegen und stelle das später erst fest. Das alles kann in der demokratischen Auseinandersetzung passieren – mir geschieht das auch in der einen oder anderen Frage. Deshalb meine Bitte zur politischen Kultur: Der Vorwurf der Ausgrenzung, quasi der Debattenunterdrückung oder Zensur, wiegt so schwer, dass ich finde, er muss konkret gemacht werden, damit darüber eine Diskussion möglich wird. Und ich wünsche mir dann auch, dass die alternativen Ideen und Konzepte zur Debatte gestellt, die Differenzen benannt und dann offen miteinander diskutiert werden, Transparenz tatsächlich in alle Richtungen herrscht, der direkte Draht gesucht und nicht an Formalien entlang die Auseinandersetzung geführt wird. Denn das ist zermürbend, aufreibend und letztlich auch nicht fruchtbringend. Schließlich haben Eiferei, Rechthaberei und Schuldigensuche in einem wirklich solidarischen Lernprozess nichts zu suchen. Wer hier im Raum für sich in Anspruch nimmt, keine Fragen mehr, aber alle Antworten zu haben, kann sich ja jetzt gern mal melden…

Wir müssen raus aus der gesellschaftlichen Schmollecke und wir müssen aufhören, in innerparteiliche Schmollecken zu flüchten. Und wir müssen wieder eins lernen: diesen Prozess unserer Selbstveränderung als interessanten, lebendigen politischen Erfahrungsprozess für jede und jeden Einzelnen zu gestalten, ihn mit Zuversicht verbinden, die wir selbst haben und ausstrahlen. Weil wir interessant sind für uns selbst und für andere, und weil wir gemeinsam kleine oder vielleicht auch mal wieder größere Erfolge haben. Dafür sollten wir unsere ganze Energie verwenden, trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen, die wir noch zu bewältigen haben.

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

wir sollten uns schließlich vor Augen halten, dass wir auch durch noch so gute Politik und Organisation im Landesverband allein Erfolg nicht garantieren können. Nicht alles hängt nur von uns ab.

Wir hatten eine regelrechte Euphorie, eine sehr erfolgreiche Zeit von 2005 bis in das Jahr 2009. Das war eine Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung, der positiven Ausstrahlung und der Zuversicht. Damit war auch die Projektion von ganz vielen Erwartungen verbunden. Nicht alle haben sich erfüllt, nicht alle konnten und können wir erfüllen. Etwas Ähnliches erleben derzeit die „Piraten“, und so etwas kann eine ganze Weile anhalten. Aber es geht eben nicht automatisch und ewig so weiter. Dazu kommen gesellschaftliche Großtrends und Hypes, reale einschneidende Veränderungen und Ereignisse, die auf gesellschaftliche Debatten und Prioritäten, auf Ängste und Hoffnungen vieler Menschen wirken. Schließlich gibt es auch erschöpfte Durststrecken, und natürlich auch andere einflussstarke gesellschaftliche Kräfte, die es leichter haben, im öffentlichen Diskurs durchzudringen.

Wir erfahren das jetzt. Jetzt sind wir in den Mühen der Ebenen, in Klärungsprozessen, in mancher strategischer und struktureller Schwierigkeit. DIE LINKE steht doch derzeit insgesamt nicht besonders gut da; auch das ist ja nichts, was wir derzeit nur in Berlin erleben. Politik ist die Antwort.

Individuelle Selbstbestimmung und Solidarität, soziale Gerechtigkeit und ökologische Vernunft, Freiheit zur Gestaltung des eigenen Lebens und demokratische Teilhabe für Alle, das sind unsere Themen. Und diese Themen haben Raum und Resonanzboden in der Gesellschaft – machen wir was draus! Als wir unser Parteiprogramm verabschiedet haben, gelang uns, Handlungsfähigkeit zu beweisen und persönliche Befindlichkeiten und Selbstbefassung nach hinten zu stellen.

Schließlich scheint mir ganz klar, dass uns gegenwärtig viele Menschen zwar bescheinigen, gesellschaftliche Widersprüche richtig zu benennen. Gebrauchswert und Problemlösungskompetenz bescheinigen sie uns jedoch nicht, und die Bereitschaft, uns zu wählen, nimmt ab. Ein Beispiel zeigt, dass wir da rauskommen können. Die Gründung einer Genossenschaft FAIRWOHNEN durch Genoss*innen unserer Partei hat ein Problem auf die Tagesordnung gesetzt und einen praktikablen Lösungsvorschlag präsentiert. Und der wurde wahrgenommen, und er wurde auch ernst genommen. Das ist das Rezept, auf das wir setzen sollten, liebe Genossinnen und Genossen. Davon wünsche ich mir mehr, in den Basisorganisationen und Bezirken, auf Landesebene, in Fraktionen und Arbeitsgemeinschaften, in unserer ganzen Partei. Und ich wünsche uns, dass wir heute dafür einen Beitrag leisten, dass wir das wieder besser hinbekommen!