Fluchtursachen bekämpfen – Asylrecht sichern – sichere Einreise ermöglichen

Auf Einladung der Fraktionsvorsitzendenkonferenz der LINKSFRAKTIONEN in Landtagen, Bundestag und Europäischem Parlament nahmen die Angeordneten Hakan Tas und Carsten Schatz an einer Bildungsreise nach Tunesien und Italien teil. Ziel der Reise, die aus Anlass des zweiten Jahrestages der Tragödie von Lampedusa – am 3. Oktober 2013 sank ein Flüchtlingsboot mit 545 Flüchtlingen vor der Küste Lampedusas – stattfand, war sich sich mit Entwicklungen in Nordafrika und Bedingungen und Strategien in Italien auseinanderzusetzen.

Neben den vielen und vielfältigen Eindrücken einer solchen Reise bleibt für uns die Frage nach den politischen Schlussfolgerungen zentral. Diese möchten wir kurz vorstellen:

1. Es ist eine Illusion, Migration an den EU-Außengrenzen dauerhaft und wirksam durch Grenzsicherung aufhalten zu können. Die Mehrzahl der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, Nordafrika und der Sub-Sahararegion haben in ihren Herkunftsländern jede Sicherheit und Perspektive verloren, sie sind bereit, ihr Leben für einen Weg nach Europa aufs Spiel zu setzen. Wer die Zahl von Flüchtlingen wirklich reduzieren will, kann das nur durch den Kampf gegen die Fluchtursachen erreichen, die zur Zeit durch auch durch die Mitgliedsländer der EU - durch Interventionen, Waffenlieferungen, Klimapolitik und unfaire Finanz- und Handelsbeziehungen – verstärkt werden. TTIP – das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA – würde allein durch die Kraft der beiden Wirtschaftsräume Normen setzen, denen sich die Länder des globalen Südens nicht entziehen können. Verfestigung und Verstärkung der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit sind die Folge. 

2. Seit der Lampedusa-Katastrophe vor zwei Jahren, bei der ca. 390 Menschen ums Leben gekommen sind, sind allein auf der Route Libyen – Italien etwa 5.000 Menschen ertrunken. Wir wollen und werden uns damit nicht abfinden! Deshalb brauchen wir jenseits des Asylrechts legale Einreisemöglichkeiten nach Europa. 

3. Innerhalb der EU müssen die Standards für Asylverfahren angeglichen werden. Die unterschiedliche – oft willkürliche - Behandlung der Antragstellenden, faktisches und absehbares Behördenversagen in den Ankunftsländern und die andauernde Situation seit 2011 schaffen massenhaft Menschen ohne Papiere in der EU, die Opfer jeder nur denkbaren Missetat, ob Kriminalität oder sklavenähnlicher Ausbeutungsverhältnisse werden können. Von gesundheitlichen Risiken ganz zu schweigen. Kaum ein Land der EU stellt sich dieser Herausforderung. 

4. Wir benötigen in der Bundesrepublik Deutschland neben eindeutigen gesetzlichen Regelungen für die Aufnahme von Menschen in Not auch eine gesetzliche Regelung, die normale Arbeitsmigration wirklich ermöglicht.

5. Die Ängste in der Bevölkerung beruhen oftmals darauf, dass viele Menschen ihre soziale Situation selbst als unsicher oder bedroht empfinden. Sie haben Angst davor, dass sich diese Situation durch Flüchtlinge verschärft. Um das zu verhindern, bedarf es der realen Gleichbehandlung aller Menschen, die hier im Land leben. Sonderregelungen, wie sie z.B. bereits beim Mindestlohn gefordert werden, befeuern die Angst, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren und durch die billigere Arbeitskraft eines Flüchtlings ersetzt zu werden.

6. Viele Menschen haben bereits erkannt, dass die Abwehr von Flüchtlingen an den Grenzen auch die Grundwerte unserer Gesellschaft im Inneren angreift. Sie stehen deshalb Flüchtlingen offen gegenüber und sehen diese als Bereicherung und Chance für unser Land. Politik hat die Aufgabe, diese Menschen zu unterstützen und nicht zu verunsichern oder gar zu diffamieren.

Außen- und entwicklungspolitische Entscheidungen, die nicht auf Landes- oder kommunaler Ebene getroffen werden, beeinflussen uns in vielfältiger Art und Weise, am deutlichsten bei den fatalen Fehlentscheidungen der letzten Jahre, die nun zu einer Flucht von Millionen Menschen führen. Auch als Landespolitiker können wir dazu nicht schweigen, weil wir unzuständig seien. In einer globalen und vernetzen Welt müssen auch wir uns stärker organisieren und unsere Sichtweise zur Diskussion stellen und in Entscheidungsprozesse einbringen. Das fatale Schweigen vieler Landesregierungen – auch des Berliner Senats – zu Waffenexporten, unfairen Freihandelsabkommen und zu einer Flüchtlingspolitik, die bei den Symptomen ansetzt und nicht bei den Ursachen, wollen wir nicht länger hinnehmen.

Palermo beschreitet mit seiner Charta von Palermo einen völlig anderen Weg, als den der Ignoranz und Abschottung. Die grundsätzliche Freizügigkeit aller Menschen ist das Ziel der Charta. Deshalb sollen Aufenthaltsgenehmigungen und Einreisebeschränkungen aufgehoben werden, um damit auch eine normale Arbeitsimmigration zu ermöglichen. Die Charta, eng mit dem Bürgermeister und als Mafia-Jäger bekannt gewordenen Leoluca Orlando verbunden, ist die Schlussfolgerung aus den unmenschlichen Zuständen, die zur Zeit an den Außengrenzen der Europäischen Union herrschen. Sie unterscheidet sich damit in radikaler Art und Weise vom Mainstream der Abschottungsdiskussion in der EU. Der Text der Charta ist hier – leider nur auf italienisch – nachlesbar.

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