Entlastungspaket des Bundes reicht nicht: Berlin handelt

Energie und KlimaSozialpolitikCarsten Schatz

Auch das neue Entlastungspaket der Bundesregierung reicht nicht, um die Folgen der Energiekrise abzufedern. Also handeln wir in Berlin mit einem Kündigungsmoratorium bei kommunalen Wohnungsgesellschaften, einem Härtefallfonds gegen hohe Energiekosten, einer Zwischenlösung für ein preiswertes Nahverkehrsticket und weiterer Unterstützung für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen. Carsten Schatz kündigt an, dass wir die bisher im Haushalt eingeplanten Mittel zur Unterstützung nochmals erheblich aufstocken werden.

15. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 08.09.2022

Zur Aktuellen Stunde

Carsten Schatz (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Menschen nicht nur in Berlin schauen mit Sorge dem Herbst und dem Winter entgegen. Diese Sorge dürfte mit den Entscheidungen des Koalitionsausschusses der Ampel kaum geringer geworden sein. Ich verkenne nicht, dass es Anstrengungen gibt, die Folgen der Energiekrise abzumildern, aber mehr ist nötig. Ich finde, die Bremser von der FDP sollten im Interesse der Demokratie spürbaren Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger nicht länger im Weg stehen.

Andernfalls droht aus der Unsicherheit Angst zu werden, und Angst ist der Nährboden, auf dem autoritäre und demokratiefeindliche Kräfte gedeihen.

Das gilt für die Partei hier rechts außen ebenso wie für das Putin-Regime. Um es klar zu sagen: Selbstverständlich gehört Kritik an Regierenden und zivilgesellschaftlicher Protest zur Demokratie. Deswegen beteiligen wir uns an Bündnissen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, Sozialverbänden und Gewerkschaften, die mit konkreten Forderungen für die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger auf die Straße gehen.

Unsere Vorschläge sind klar: Wir wollen erstens einen Energiepreisdeckel für Strom und Gas, finanziert – zweitens – durch eine Übergewinnsteuer, die auch konkrete Hilfen an die Ärmsten in Form eines Energiegeldes – drittens – ermöglichen würde, und wir wollen viertens gesetzliche Verbote von Strom- und Gassperren wie auch Wohnungskündigungen, wenn die Heizkosten nicht bezahlt werden können.

Wir unterstützen Bündnisse, die die Ursache der Krise benennen – und das haben Sie hier von rechts außen nicht getan –, Putins Angriffskrieg und jegliche Form von antidemokratischer Wortwahl, Gestus und Ort eine klare Absage erteilen, und Protest, ohne an die niederen Instinkte zu appellieren, wie es die AfD und mit ihr all die Nazis, Schwurbler und Rassisten machen, denen es einzig um das Schüren von Angst und damit die Unterhöhlung der Demokratie geht. Eine Politik, die mit Angst, Ressentiments und Vorbehalten gegen Minderheiten und andere Kulturen und die Demokratie schürt, wird niemals unsere Unterstützung finden.

Wir sagen nicht: Wenn Putin versucht, uns den Gashahn abzudrehen, dann geben wir mal besser nach und überlassen die Menschen in der Ukraine sich selbst. – Wir sagen: Lasst uns Unterstützung, lasst uns den Sozialstaat und lasst uns den sozialökologischen Wandel so organisieren, dass wir nicht erpressbar sind.

Das ist der Unterschied, und deshalb gibt es mit rechts außen keine gemeinsame Sache. Und, lieber Herr Czaja, etwas anderes haben Udo Wolf und Gaby Gottwald auch nicht gesagt!

Gemessen an dem Anspruch muss von der Bundesregierung noch mehr kommen. Wenn der FDP-Bundesjustizminister von einem „wuchtigen“ Paket fabuliert, zeigt er, dass er von der Lebensrealität vieler Men-schen in diesem Land so weit entfernt ist wie ein Cappuccino von der Milchstraße.

Ja, es gibt durchaus Punkte, die als richtig und hilfreich bezeichnet werden können, zum Beispiel die Ausweitung des Wohngeldanspruchs. Auch der Ansatz, dass für Menschen sowie kleine und mittlere Unternehmen ein Grundbedarf an Strom zu einem vergünstigten Preis angeboten werden soll, ist begrüßenswert. Nicht nur Die Linke, sondern auch Gewerkschaften und Sozialverbände haben das seit Wochen gefordert. Das und der versprochene Schutz von Mieterinnen und Mietern, die die Betriebskostenexplosion nicht stemmen können, sowie der angekündigte Schutz vor Strom- und Gassperren muss aber jetzt – und zwar gesetzlich – umgesetzt werden. Eine Umsetzung im März nächsten Jahres hilft den Menschen wahrscheinlich nicht.

Gewerkschaften, Sozialverbände und Linke, aber auch Grüne und SPD haben vorgeschlagen, dass zur Krisenbewältigung die Übergewinne abgeschöpft werden, die einige Konzerne derzeit angesichts der aktuellen Lage erzielen. Doch nicht nur die fragwürdige Wortschöpfung „Zufallsgewinne“ zeigt, welche ideologischen Barrieren die FDP bei der Suche nach Lösungen leiten.

Das beginnt schon damit, dass mit der Abgabe lediglich die Zusatzgewinne am Spotmarkt, also an der tagesaktuellen Strompreisbörse abgeschöpft werden sollen. 75 Prozent des Stromhandels finden aber außerhalb der Börse statt. Es ist völlig unklar, wie man an die hier erzielten Übergewinne herankommen will. Mit einer Übergewinnsteuer kann man darüber hinaus auch andere Unternehmen wie zum Beispiel die Mineralölkonzerne heranziehen. Das muss aus Sicht der FDP anscheinend unbedingt verhindert werden. Schließlich: Abgaben können nur zweckgebunden erhoben und eingesetzt werden. Würde man die Übergewinne dagegen mit einer Steuer abschöpfen, könnte man mit den entsprechenden Einnahmen wesentlich gezielter diejenigen unterstützen, die in dieser Krise auf Hilfe angewiesen sind.

Aus diesen Einnahmen ließe sich auch ein Grundkontingent an Gas zu einem vergünstigten Preis anbieten. Es versteht doch da draußen kein Mensch, weshalb das, was beim Strom kommen soll, nicht auch im Wärmebereich gilt. Doch das wird von einigen in der Bundesregierung offensichtlich nicht gewollt. Stattdessen soll jetzt eine Kommission gebildet werden, um preisdämpfende Maßnahmen auf dem Wärmemarkt zu entwickeln. Man kann nur hoffen, dass der Winter nicht schon vorbei ist, bis diese Kommission Ergebnisse liefert.

Der nächste ideologische Ballast der FDP ist das unbedingte Festhalten an der Schuldenbremse; wir haben es vorhin wieder gehört. Die Bewältigung der Folgen der Coronakrise hat gezeigt: Es war richtig, die Schuldenbremse auszusetzen und kleinere und mittlere Unterneh-men massiv zu stützen; die Neustarthilfen laufen ja noch. Jetzt, angesichts massiver Kostenexplosionen, durch einen Krieg verursacht, die Arme hoch zu reißen, ist doch ein Armutszeugnis. Die Schuldenbremse muss erneut ausgesetzt werden, damit ein entschiedenes „You’ll never walk alone“ auch finanziert werden kann.

Das ist dann auch eine klare und entschiedene Antwort auf Putins Erpressung, eine Antwort, die sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft sichert.
Es muss klar sein: Wer jetzt nicht handelt und massiv die Binnennachfrage stützt, also den Konsum breiter Teile der Bevölkerung sichert, spart sich in die Krise hinein. Deshalb ist es auch wirtschafts- und finanzpolitisch sinnvoll, wenn wir sagen, wir brauchen mindestens für die Menschen mit geringen und mittleren Einkommen eine regelmäßige monatliche Unterstützung – und zwar jetzt, und nicht erst im März.

Der Preisanstieg trifft Menschen mit geringen Einkommen besonders hart. Schon vor der Explosion der Energiepreise hätten die Hartz-IV-Sätze um 200 Euro im Monat höher ausfallen müssen. Dass die Bundesregierung in diesem Jahr gar keine weiteren Hilfen für Menschen in der Grundsicherung plant, macht mich fassungslos. Es fehlt diesen Menschen inzwischen am Nötigsten. Die angekündigte Anhebung der Grundsicherung auf knapp 500 Euro ist nicht nur viel zu gering, sondern sie kommt auch viel zu spät. Notwendig wäre eine pauschale Anhe-bung der Regelsätze um 200 Euro ab Oktober. Zusätzlich sind die Stromkosten als Bestandteil der Wohnkosten zu übernehmen; bisher sind sie nämlich Teil des Regelsatzes. Sie können sich also alle ausrechnen, was steigende Stromkosten für Menschen in Grundsicherung bedeuten.
Glücklicherweise regiert in Berlin keine Ampel, sondern eine rot-grüne-rote Koalition.

Wir haben im Frühjahr den Berlinerinnen und Berlinern versprochen, dass wir sie in dieser Krise nicht alleine lassen werden. Auch wenn wir uns vom Bund wie dargelegt mehr und vor allen Dingen schnellere Hilfe erhofft haben – dieses Versprechen steht. Deshalb werden wir die im Haushalt eingeplanten Mittel zur Unterstützung nochmals erheblich aufstocken.

Wir in der Koalition meinen: Solidarisch durch die Krise – Berlin packt das! Dazu haben wir uns, meine geschätzten Kollegen haben bereits darauf verwiesen, auf vier Handlungsfelder verständigt. Erstens: Wir werden nicht abwarten, ob der Bund sich noch zu einem Moratorium bei Wohnungskündigungen durchringt. Wir werden dafür sorgen, dass keine Mieterinnen und Mieter bei den landeseigenen Wohnungsgesellschaften auf die Straße gesetzt werden, weil sie gestiegene Energiekosten nicht zahlen können, und wir werden diese Erwartung auch deutlich an alle anderen Vermieter in der Stadt adressieren, ob Genossenschaften oder privat, und mit Ihnen darüber sprechen, wie das zu vermeiden ist. Dafür haben wir den Härtefallfonds, wie auch für die drohenden Strom- und Gassperren. Wir wollen verhindern, dass die steigenden Energiekosten für die Menschen zur Schuldenfalle werden.

Drittens: Es ist der erklärte Wille aller in der Koalition, noch in diesem Jahr eine Zwischenlösung für ein preiswertes Nahverkehrsticket an den Start zu bringen und nicht zu warten, bis der FDP-Verkehrsminister endlich mal aus der Hüfte kommt. Als Linke streben wir dabei eine Lösung an, die auch Inhaber/-innen des Sozialtickets spürbar entlastet.
Viertens: Wir werden zügig klären, wie wir Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen dabei unterstützen, dass ihnen ihre Energiekosten nicht über den Kopf wachsen – sei es durch Energiekontingente zu vergünstigten Preisen oder durch Zuschüsse. Der Bund könnte uns diese Aufgabe erheblich erleichtern, wenn er die Anrechnung einer solchen Unterstützung auf die Transfereinkommen wenigstens vorübergehend aufhebt. Eine solche Lösung streben wir übrigens auch für kleinere und mittlere Unternehmen an, denn es wäre doch widersinnig, diese Unternehmen mit viel Geld durch die Coronakrise gebracht zu haben, um sie jetzt sterben zu lassen.

Insofern bleibt mir zum Ende der Rede nur noch, der FDP für die Frage zu danken, die im Titel – auf der Tafel leider nicht – auftaucht: Was tut Rot-Grün-Rot? –, denn sie konnte beantwortet werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!