Aufruf zu den Europawahlen am 25. Mai 2014

Am Sonntag entscheiden wir nicht nur über die Zukunft des Tempelhofer Feldes, sondern wir wählen auch ein neues Europäisches Parlament.

aus dem Wortprotokoll

48. Plenarsitzung
Prioritäten

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.2:

Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

a) Aufruf zu den Europawahlen am 25. Mai 2014

Dringliche Beschlussempfehlung des Ausschusses für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien vom 21. Mai 2014
Drucksache 17/1666

zum Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU auf Annahme einer Entschließung
Drucksache 17/1633

b) Aufruf zu den Europawahlen am 25. Mai 2014

Dringliche Beschlussempfehlung des Ausschusses für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien vom 21. Mai 2014
Drucksache 17/1667

zum dringlichen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion auf Annahme einer Entschließung
Drucksache 17/1665

c) Aufruf zu den Europawahlen am 25. Mai 2014

Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion auf Annahme einer Entschließung
Drucksache 17/1668

Wird den Dringlichkeiten widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Ich hatte den Antrag der Oppositionsfraktionen Drucksache 17/1665 vorab an den Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten und Medien überwiesen und darf Ihre nachträgliche Zustimmung feststellen.

 

Vizepräsidentin Anja Schillhaneck:

– Für Die Linke hat nun das Wort der Herr Abgeordnete Schatz. – Bitte sehr!

Carsten Schatz (LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Sonntag entscheiden wir nicht nur über die Zukunft des Tempelhofer Feldes – also eigentlich über die Frage, wem die Stadt gehört, einem betonverliebten Senat oder den Berlinerinnen und Berlinern –, sondern wir wählen auch ein neues Europäisches Parlament. In der Debatte in unserer Stadt und leider auch hier im Haus ist es erstaunlich leer geworden. Nach der Aktuellen Stunde scheinen die Themen manchmal etwas unterzugehen.

Auch, wenn sich die Kollegin Schillhaneck bei den anderen europapolitischen Sprecherinnen und Sprechern für die gemeinsame Initiative bedankt hat, so fand ich das unwürdige Gezerre im Vorfeld doch etwas schwierig. Vielleicht schaffen wir es in fünf Jahren, gleich zu Beginn etwas Gemeinsamen hinzukriegen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN –
Beifall von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Aber ich glaube, das spiegelt auch ein Problem wider, dem wir uns alle gemeinsam stellen müssen.

Vielen Berlinerinnen und Berlinern – leider auch hier im Haus – scheinen die EU, Brüssel und Straßburg weit weg zu sein. Die Regelungen, die da gemacht werden – es sind die Gurken angesprochen worden, und die finden Sie erstaunlicherweise auch in den Reden vieler Kandidatinnen und Kandidaten –, sind selbst, wenn sie auf Deutsch im Internet verfügbar sind, für viele Menschen oft unverständlich. Das ist, so meine ich, gewollt von denen, die in Brüssel und Straßburg den Ton angeben, und das sind zuerst die nationalen Regierungen der 28 Mitgliedsstaaten. Wenig überraschend spielen die Regierungschefs der großen Länder eine gewichtige Rolle.

So plakatiert die Union – Mitglied der EVP – ehrlicherweise zwar in Deutschland Angela Merkel zur Europawahl, die Mitgliedspartei der EVP in Griechenland, die Nea Dimokratia, hätte wohl ein erhebliches Mobilisierungsproblem damit.

[Beifall bei der LINKEN]

Eigentlich wählen wir auch kein Europäisches Parlament – das muss einmal gesagt werden –, sondern 28 Teilparlamente, die nach 28 Wahlrechten in 28 Mitgliedsländern gewählt werden und in Brüssel und Straßburg als ein Parlament zusammentreten.

Auf der anderen Seite erleben wir einen Wahlkampf, der eher Fragen hinterlässt als beantwortet. Die Union, also die CDU, gibt bekannt, dass alles schon werde. Die SPD kämpft für Mitbestimmung und Partizipation, aber wahrscheinlich nur auf europäischer Ebene. Die Grünen sind für Klimaschutz, und die Piraten können nicht, wenn jemand zuschaut. – Ah ja!

Dass es am Sonntag um eine wichtige Entscheidung geht, dass die Stimme der Bürgerinnen und Bürger Gewicht hat, dass es um nichts weniger als um den zukünftigen Weg der EU geht – – Wo finden die Bürgerinnen und Bürger diese Informationen? Das Parlament, das wir am Sonntag wählen, wird beispielsweise über die Frage entscheiden müssen, ob die Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA weiterverhandelt werden bzw. in Kraft treten oder nicht. Ich würde mich da von wohlfeilem Wortgeklingel nicht beirren lassen. Während die SPD verkündet, sie lehne ISDS, den undemokratischen Investorenschutz, ab, stimmte sie am 16. April im Europaparlament einer Entschließung zu ISDS zu. Während die CDU uns mit Wohlstand und Arbeit bezirzt, zwingt ihre Politik im Süden Europas ganze Volkswirtschaften in die Knie und beraubt die Menschen, zum Beispiel in Griechenland, ihrer Zukunft. Glauben Sie denn im Ernst, eine Jugendarbeitslosigkeit von 60 Prozent sei eine Bagatelle? Jede Familie in Griechenland hat die Hoffnungslosigkeit und die Zukunftsangst im Haus. So etwas zerstört eine Gesellschaft nachhaltig, und dem gilt es, ein Zeichen der Solidarität entgegenzusetzen.

[Beifall bei der LINKEN –
Beifall von Anja Kofbinger (GRÜNE) –
Beifall von Alexander Spies (PIRATEN)]

Und dass die Freihandelsabkommen sehr wohl mit Berlin, mit uns, den Berlinerinnen und Berlinern, zu tun haben, will ich an einem Beispiel deutlich machen. Wir reden hier in der Debatte in der Stadt über Flüchtlinge, die auf der Suche nach einem sicheren Leben, Wohlstand und einer Zukunft für sich und ihre Familien hier herkommen. Diese Flüchtlinge verlassen ihre Heimat nicht aus freien Stücken, sondern sie werden durch Kriege und Unterentwicklung gezwungen. Deshalb ist es notwendig, Fluchtursachen zu bekämpfen und zu den Freihandelsabkommen Nein zu sagen, die auf der einen Seite den Wohlstand in einigen Ländern erhöhen, während sie die Unterentwicklung und Armut in Subsahara-Afrika und Lateinamerika verstärken. Deshalb ist es wichtig, wählen zu gehen. Es hat eben auch Auswirkungen auf unsere Stadt.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN –
Beifall von Sabine Bangert (GRÜNE)]

Nicht nur in Griechenland, sondern auch hier wenden sich Menschen von der EU und ihren Institutionen ab, weil sie allzu oft als Vorwand gebraucht werden. Viele Menschen hören oft: Wir können da leider nicht helfen. Die EU verbietet das. – Das ist feige, meine ich. Diese Regelungen der EU sind ja nicht vom Himmel gefallen. Die Feiglinge selbst haben diese Regelungen in Nachtsitzungen verabredet. Auch diese Feigheit, dieses Zeigen mit dem Finger nach Brüssel ist antieuropäisch und nicht der Protest dagegen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Wir treten als Linke für ein Parlament mit allen Rechten in der EU ein. Wir können wir das, wenn wir beim Beklagen der aktuellen Zustände bleiben? Wenn wir denen, die die EU und ihre Gründungsidee des Friedens und der Solidarität, der gemeinsamen Kultur, der Völkerverständigung und der Freiheit für ihre Zwecke missbrauchen, das Handwerk legen wollen, müssen wir zur Teilnahme an der Wahl ermutigen. Nur ein starkes und selbstbewusstes Europaparlament kann seine Stimme laut und deutlich erheben. Stärke und Selbstbewusstsein wachsen aber nicht auf einer niedrigen Wahlbeteiligung.

[Beifall]

Sie, liebe Berlinerinnen und Berliner, haben es in der Hand. Ihre Stimme entscheidet. Sie entscheidet nach dem Wegfall der 3-Prozent-Hürde auch, wie viele Stimmen in Deutschland notwendig sind, um einen Sitz, aber auch zwei oder drei zu bekommen. Ich will, dass von unserem Berlin ein klares Signal ausgeht. Nazis und Rechtspopulisten haben in unserer Stadt keine Chance.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall den PIRATEN]

Ob sie eine Chance haben, entscheiden Sie, liebe Berlinerinnen und Berliner mit ihrer Stimme für demokratische Parteien. Wenn Sie zu Hause bleiben, haben die Stimmen anderer für Nazis und Rassisten mehr Gewicht, oder, anders gesagt: Schlechte Politiker werden von guten Menschen gewählt, die nicht zur Wahl gehen.

Wir in Berlin haben nichts zu verschenken, unsere Stimme erst recht nicht. Deshalb gilt am Sonntag: Geht wählen, Nachbarn!

[Beifall]

Vizepräsidentin Anja Schillhaneck:

Vielen Dank, Herr Schatz! –