Die Erinnerung an den Aufstand am 17. Juni 1953 verdient es wachgehalten zu werden

Gemeinsame Erklärung der Vorsitzenden der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus Anne Helm und Carsten Schatz und der Vorsitzenden der Partei DIE LINKE. Berlin Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer:

 

Der 17. Juni 1953 verdient einen bedeutsamen Platz in unserer Gedenkkultur. In diesem Jahr jährt sich der Arbeiteraufstand zum 70. Mal und wir nehmen das zum Anlass, an die mutigen Kämpfe der Aufständischen zu erinnern und in den Mittelpunkt zu rücken, warum dieses Ereignis noch immer wichtige Lehren für die Gegenwart in sich trägt.

Der Aufstand am 17. Juni war eine Reaktion auf eine Welle stalinistischer Repressalien, mit denen die SED-Führung versuchte, ihre Vorstellungen von der Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft voranzutreiben. Eine Erhöhung der Arbeitsnorm, die eine 10-prozentige Lohnsenkung mit sich brachte, war der Tropfen, der das Fass damals zum Überlaufen brachte. Viele hunderttausende Menschen, allen voran Arbeiterinnen und Arbeiter, legten an diesem Tag ihre Arbeit nieder und trugen in über 700 Orten der DDR ihren Protest auf die Straße.

Doch die Forderungen der aufständischen Menschen gingen weit über die Rücknahme der Normerhöhung hinaus. Sie wehrten sich gegen die Etablierung eines Staates nach stalinistischem Vorbild, protestieren für freie Wahlen, für Rede- und Pressefreiheit. Sie forderten die Freilassung politischer Gefangener, den Rücktritt der Regierung, Wiedervereinigung und eine Entmilitarisierung. Die Menschen demonstrierten nicht nur durch die Städte, sie besetzten auch Rathäuser und befreiten politische Häftlinge aus Gefängnissen. Mit diesem enormen Protest zwangen sie die Regierung zum Handeln und erreichten die Rücknahme der beschlossenen Arbeitsnormerhöhung.

Die anderen Forderungen wurden von der DDR-Regierung nicht nur ignoriert, sondern mit Unterstützung sowjetischer Soldaten hart bestraft. Mindestens 55 Menschen bezahlten für ihren Mut und ihre Entschlossenheit mit dem Leben. Sie wurden bei der Zurückdrängung der Aufstände erschossen oder fielen standrechtlichen Erschießungen zum Opfer, manche starben während der auferlegten Haft oder nahmen sich im Gefängnis das Leben. Etliche Aufständische wurden mit unverhältnismäßig hohen Gefängnisstrafen versehen. Der Aufstand wurde auf diese Weise gewaltvoll niedergeschlagen.

Für die SED, zu deren Selbstverständnis es gehörte, die Partei der Arbeiterklasse zu sein, war es eine besonders dramatische Erfahrung, dass der Aufstand ausgerechnet von den Arbeiterinnen und Arbeiter ausging und sie auch an dessen Spitze standen. Um angesichts dessen die eigenen ideologischen Positionen, den eigenen Macht- und Herrschaftsanspruch aufrechterhalten und rechtfertigen zu können, wurden die Ursachen geleugnet und der Aufstand als das Werk faschistischer Elemente und westdeutscher Agenten dargestellt.

 

Das Erinnern an den 17.Juni ist auch heute noch von großer Bedeutung

Indem wir dem mutigen Aufbegehren dieser Menschen einen wichtigen Platz in unserer Erinnerungskultur einräumen, vermitteln wir den Wert, sich gegen Unrecht zu erheben und für Freiheitsrechte einzutreten. Ein Wert, der nie an Bedeutung verloren hat und in jeder kommenden Generation neue Wurzeln schlagen muss. Gleichzeitig muss die harte, gewaltvolle Repression, mit der die DDR-Regierung diese Kämpfe niedergerungen hat, für alle politischen Entscheidungsträger als abschreckende Negativfolie für den Umgang mit Protestbewegungen dienen. Eine Regierung, die nur mit Gewalt in der Lage ist, ihre Machtposition zu erhalten, entfernt sich vom demokratischen Weg. Genau auf diesen demokratischen Weg haben wir uns als Gesellschaft heute geeinigt und als Politiker*innen verpflichtet, es gilt immer wieder neu dafür einzutreten. Der Blick in die Geschichte hilft uns dabei.

Im heutigen Erinnerungsdiskurs dieses Arbeiteraufstandes dominiert die Erzählung, dass die Aufständischen sich nach einer Wiedervereinigung und damit Etablierung eines kapitalistischen Wirtschaftssystems in Anlehnung an den Westen sehnten. Diese eindimensionale Lesart spiegelt jedoch nicht die vielfältigen politischen Forderungen wider, welche die Menschen damals zu ihrem großen Aufbegehren bewegten. Zeitzeugenberichte legen breitere Einordnungen dieses Ereignisses offen, wenn zum Beispiel zu lesen ist, dass antikommunistische Parolen ausgebuht wurden oder skandierte Rücktrittsforderungen sich nicht nur an Ulbricht, sondern auch an die Adenauer-Regierung richteten. Eine verantwortungsbewusste Aufarbeitung der Vergangenheit muss auch solche Widersprüche zur herrschenden Ordnung aushalten.

 

Unsere Forderungen

Um die Erinnerung an den Arbeiteraufstand vom 17. Juni zu pflegen, fordern wir einen einmaligen gesetzlichen Feiertag anlässlich des 75. Jubiläums 2028. Dieser soll von Veranstaltungen und Bildungsangeboten begleitet werden, die Jung und Alt eine intensive Auseinandersetzung und Vertiefung mit dem Ereignis ermöglichen. In diesem Zuge sollten auch weitere historische Forschungen zum Aufstand angestoßen und unterstützt werden. Biografische Nachforschungen würden es uns ermöglichen, das Gedenken an die getöteten Aufständischen nachhaltiger zu gestalten und einer würdevollen Erinnerung an mutige Akteur*innen dieser Tage gerecht zu werden.