„Maulkorb“ für Berlins Bezirksverordnetenversammlungen in Sachen TTIP?

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Drucksache 17 / 15 885 - Ist dem Senat das Rechtsgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bekannt, wonach kommunale Vertretungskörperschaften sich aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht mit den derzeit diskutierten und verhandelten Handelsabkommen CETA, TTIP und TISA befassen und dazu Entschließungen abgeben dürften?

Drucksache 17 / 15 885

Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Klaus Lederer und Carsten Schatz (LINKE)

vom 26. März 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. März 2015) und Antwort

„Maulkorb“ für Berlins Bezirksverordnetenversammlungen in Sachen TTIP?

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt:

1. Ist dem Senat das Rechtsgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bekannt, wonach kommunale Vertretungskörperschaften sich aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht mit den derzeit diskutierten und verhandelten Handelsabkommen CETA, TTIP und TISA befassen und dazu Entschließungen abgeben dürften und teilt der Senat dessen Rechtsauffassung?

Zu 1.: Dem Senat ist das Rechtsgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bekannt. Er teilt die darin vertretene Rechtsauffassung nicht.

2. Teilt der Senat die Ansicht des bayerischen Staatsministers Herrmann, dass grundlegende Veränderungen im Freihandelssystem, die auch Dienstleistungserbringung, Kultur und soziale Fragen betreffen, Auswirkungen auf die öffentliche Aufgabenerfüllung der Kommunen haben können und deshalb auch Gegenstand des kommunalen Befassungsrechts im Rahmen der kommunalen Allzuständigkeit sein dürfen?

Zu 2.: Etwaige Auffassungen von Regierungsmitgliedern anderer Bundesländer werden vom Senat nicht kommentiert. Der Senat ist der Auffassung, dass die geplanten Freihandelsabkommen Auswirkungen auf die öffentliche Aufgabenerfüllung von Kommunen haben können. Entsprechend den vom Bundesverwaltungsgericht (Entscheidung vom 14. Dezember 1990, Az. 7 C 37/89) aufgestellten Grundsätzen können die geplanten Freihandelsabkommen Gegenstand der kommunalen Befassung sein, soweit die jeweilige Kommune konkret von den Auswirkungen dieser Abkommen betroffen ist bzw. betroffen sein könnte.

3. Hat der Senat im Rahmen seiner Zuständigkeit für die Bezirksaufsicht Einwände dagegen, dass sich einzelne Bezirksverordnetenversammlungen mit TTIP, CETA, TISA und deren mögliche Auswirkungen auf die bezirkliche Aufgabenerfüllung befasst haben oder befassen und dazu auch Entschließungen im Sinne von Empfehlungen gemäß § 13 Abs. 3 BezVG verabschiedet haben oder nach dem Willen einzelner Antragsbefugter verabschieden mögen?

Zu 3.: Gemäß § 13 Abs. 3 des Bezirksverwaltungsgesetzes können die Bezirksverordnetenversammlungen in Angelegenheiten, die für den Bezirk von Bedeutung sind, deren Wahrnehmung aber nicht in die bezirkliche Zustän- digkeit fällt, Empfehlungen aussprechen. Dieser Vorschrift entsprechend verfügen die Bezirksverordnetenversammlungen nicht über ein allgemeinpolitisches Mandat. Die Reichweite der Befassungskompetenz der Bezirksverordnetenversammlungen ist insoweit vergleichbar mit der Reichweite der Befassungskompetenz kommunaler Organe.

Eine Befassungskompetenz der Bezirksverordnetenversammlungen besteht mithin im Einzelfall nur, soweit sich die Empfehlungen nach § 13 Abs. 3 des Bezirksver- waltungsgesetzes konkret auf Auswirkungen beziehen, die die derzeit diskutierten und verhandelten Handelsab- kommen „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (CETA), „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) und „Trade in Services Agreement“ (TISA) für den jeweiligen Bezirk haben können, und sich auf diese beschränken.

4. Wie beurteilt der Senat die Stellungnahme des Rechtsamts Marzahn-Hellersdorf, eine „derartige Resolution/Antrag [sei] [gemeint ist eine Positionierung zu den Auswirkungen von TTIP auf die bezirkliche Aufgabenwahrnehmung – K.L.] unzulässig. Die BVV [habe] als Teil der Verwaltung kein allgemeinpolitisches Mandat. Ihr [sei] es in diesem Gremium deswegen verwehrt, sich in dieser Form, zu allgemeinpolitischen Themen Stellung zu beziehen. Die zu behandelnden Themen müssen immer einen unmittelbaren Bezug zur bezirklichen Verwaltung haben. Dies ist hier nicht der Fall. Ein derartiger Beschluß müßte vom BA beanstandet werden.“ (Schreibweise im Original)?

5. Wie verhält es sich angesichts des klaren Wortlauts von § 13 Abs. 3 BezVG generell mit dem Beanstandungsrecht bzw. der Beanstandungspflicht des Bezirksamtes bei Anträgen oder Beschlüssen der Bezirksverordnetenversammlung mit Empfehlungscharakter in denjenigen Angelegenheiten, deren Erledigung nicht in die bezirkliche Zuständigkeit fällt, die aber für den Bezirk von Bedeutung sind?

Zu 4. und 5.: Der Senat hält den in der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf zu CETA, TTIP und TISA gestellten Antrag ebenfalls für unzulässig, da er auf eine allgemeinpolitische Positionierung zu den geplanten Abkommen gerichtet ist. Der Antrag beschränkt sich in Wortlaut und Begründung gerade nicht auf Aspekte der geplanten Abkommen, die den Bezirk Marzahn- Hellersdorf konkret betreffen. Es wird vielmehr allgemein darauf abgestellt, dass die Gestaltungsmöglichkeiten von Städten, Gemeinden und Bezirken nachhaltig eingeschränkt werden. Zudem werden zahlreiche Beispiele aufgezählt, die die Zuständigkeit des Bezirks Marzahn- Hellersdorf nicht betreffen (z. B. die Privatisierung der Wasserversorgung und des Nahverkehrs, die Einräumung eines Sonderklagerechts internationaler Konzerne gegen demokratisch beschlossene Gesetze etc.). Inwieweit der Bezirk Marzahn-Hellersdorf konkret von der für die Pri- vatisierung staatlicher Unternehmen vorgesehenen Standstill- und der Ratchetklausel betroffen sein könnte, bleibt offen. Als allgemeines Beispiel für die Betroffenheit von Kommunen durch diese Klauseln wird insoweit die Privatisierung von Stadtwerken aufgeführt. Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf hat jedoch kein eigenes Stadtwerk.

Auch bezüglich der geforderten Beteiligung kommunaler Spitzenverbände an den Verhandlungen zu diesen Abkommen ist eine Betroffenheit des Bezirks Marzahn- Hellersdorf nicht gegeben.

Eine Pflicht zur Beanstandung rechtswidriger Empfehlungen der Bezirksverordnetenversammlungen durch das Bezirksamt besteht nicht, da Empfehlungen für das Bezirksamt keine Vollzugspflicht begründen. Eine Beanstandung kann erfolgen, wenn ausnahmsweise ein berechtigtes Interesse des Bezirksamts daran besteht, einer rechtswidrigen Empfehlung der Bezirksverordnetenversammlung gerade im Wege des formalisierten Beanstandungsverfahrens entgegenzutreten.

Berlin, den 2. April 2015

In Vertretung

Bernd Krömer
Senatsverwaltung für Inneres und Sport

(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Apr. 2015)