Quelle: rbb-online.de

Mit Solidarität und Umsicht gegen die Corona-Pandemie

GesundheitCarsten Schatz

"Unsere Hoffnung mit den Einschränkung von Anfang November die Infektionszahlen zu senken, haben sich leider nicht erfüllt. Zwar beobachten wir in Berlin – anders als im Bundesgebiet – einen leichten Rückgang, aber leider auf einem viel zu hohen Niveau. Unsere Ampel für die Belegung der Intensivbetten zeigt rot und der Anstieg scheint nicht gestoppt. Deshalb müssen wir handeln und zwar rasch. Und wir müssen die richtigen Maßnahmen ergreifen.", sagt Carsten Schatz.

68. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 10. Dezember 2020

Aktuelle Stunde: „Mit Solidarität und Umsicht gegen die Pandemie: Mit der Impfstrategie und gutem Infektionsschutz – zuerst und vor allem für besonders gefährdete Gruppen"

Carsten Schatz (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Rede, Herr Pazderski [AfD], lässt mich etwas ratlos zurück. Ich kann mich an die Debatten im Frühjahr hier im Haus erinnern, als Sie uns noch empfohlen haben, uns an der erfolgreichen Politik der amerikanischen Regierung zu orientieren, namentlich ihres Präsidenten, Herrn Trump. Die Ergebnisse dieser Politik kann man jeden Tag in den Statistiken der Johns-Hopkins-Universität nachlesen, und Herr Trump hat seine verdiente Quittung dafür erhalten.

Unsere Hoffnung, mit den Einschränkungen von Anfang November die Infektionszahlen zu senken, haben sich leider nicht erfüllt.

Zwar beobachten wir anders als im Bundesgebiet einen leichten Rückgang, aber leider auf viel zu hohem Niveau. Die Berliner Sieben-Tage-Inzidenz liegt noch immer bei 193,4 Infektionen pro 100 000 Einwohnern und Einwohnerinnen. Schlimmer noch: Waren Anfang November, als wir das letzte Mal hier zum Thema debattierten, 169 Intensivbetten belegt, hat sich diese Zahl mehr als verdoppelt. Stand heute früh sind es 358. Unsere Ampel für die Belegung von Intensivbetten zeigt Rot, und der Anstieg scheint noch nicht gestoppt. Deshalb müssen wir handeln, und zwar rasch, und wir müssen die richtigen Maßnahmen ergreifen.

Doch schon werden in der Debatte wieder Pappkameraden aufgebaut. Nein, nicht der Glühwein to go an der frischen Luft ist das Problem, auch nicht die Waffelbäckerei – da habe ich einen Dissens mit der Kanzlerin – und auch nicht der Glühwein durch die Luke. Entscheidend ist, dass man dabei nicht ohne Maske längere Zeit in größeren Gruppen zusammensteht. Deshalb sollten wir uns um die eigentlichen Probleme kümmern. Da steht an erster Stelle der Schutz besonders vulnerabler Gruppen, und da müssen wir sagen: Es ist leider nicht gelungen, zu verhindern, dass das Virus die vulnerablen Gruppen in Berlin wieder erreicht. Der Anteil der älteren Menschen an Neuinfektionen steigt, und das führt zu mehr Menschen, die in intensivmedizinischer Behandlung sind, und auch zu mehr Todesfällen. Ein Fingerzeig sind hier die Daten, die wir alle jeden Tag sehen können: Der langsame, aber stetige Anstieg des Altersdurchschnitts sowohl bei den Hospitalisierten als auch bei denen, die an oder mit Covid-19 verstorben sind.

Die Notrufe aus den Krankenhäusern sind unüberhörbar. Ärzte, Ärztinnen und Pflegepersonal arbeiten am Limit.

Ihnen gebührt Dank und Anerkennung, und ich finde, ja, auch durch bessere und faire Bezahlung.

Deshalb brauchen wir schnell und umfassend Maßnahmen zum Schutz von Alten- und Pflegeheimen. Wir als Linke haben einen raschen Gipfel mit den Trägern vorgeschlagen, damit Schutzkonzepte gemeinsam auf den Weg gebracht werden können. Die MPK hat die Finanzierung von bis zu 30 Schnelltests pro Bewohner und Bewohnerin in den Heimen auf den Weg gebracht. Jetzt müssen die eingesetzt werden, täglich für das Personal, für alle Besucher und Besucherinnen und regelmäßig einmal pro Woche für die Bewohner und Bewohnerinnen. Isolationen müssen wir, soweit es geht, verhindern, und ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass der Senat gemeinsam mit den Trägern hier ein Positionspapier auf den Weg gebracht hat. Danke dafür! Ich glaube, das ist der richtige Weg, und den müssen wir weiter gehen, denn Ausbrüche wie in Lichtenberg, Friedrichshain und Mitte sollten uns Warnung sein. Auch diese Zahl findet sich übrigens in den öffentlichen Zahlen des Berliner Dashboards: Die Zahl der Infektionen in zuordenbaren Ausbrüchen ist von einer einstelligen Zahl auf fast 10 Prozent gestiegen. Das zeigt, was da abgeht.

Aber es ist natürlich auch grundsätzlich anzumerken, dass ein unterfinanziertes Pflegesystem ein Problem ist, erst recht dann, wenn Einrichtungen als gewinnorientierte Unternehmen betrieben werden. Man kann sich darüber aufregen und empören, dass Personal trotz Symptom zur Arbeit geht, aber jede einzelne Pflegekraft steht auch immer vor der Entscheidung: Wenn ich mich krankschreiben lasse oder aus Vorsicht zu Hause bleibe, dann bedeutet das noch mehr Arbeit für Kolleginnen und Kollegen, noch weniger Zeit, sich um die Menschen in den Heimen zu kümmern. Genauso wenig vertragen sich hoher Arbeitsstress und die penible Einhaltung von Hygienevorschriften. An diese Fragen müssen wir ran, und hier legt die Pandemie erneut grundsätzliche Probleme dieser Gesellschaft offen. Die Beschimpfung der Pflegekräfte kann aus unserer Sicht hier nicht die Lösung sein. Auch hier gilt der Gedanke des ehemaligen Berliner Stadtverordneten Rudolf Virchow, der übrigens auch mal einem Parlament angehörte, das in diesem Saal tagte, und der mahnte, immer Verhalten und Verhältnisse in den Blick zu nehmen, um Krankheiten zu bekämpfen.

Das führt zum nächsten Thema, den Schulen. Ja, es ist eine schwierige Entscheidung, aber wenn wir die Mobilität der Menschen weiter zurückfahren wollen und wenn andererseits Kontakte klein und überschaubar gehalten werden sollen, dann hat der Vorschlag Sinn, die Klassen zu teilen und im Wechsel zu unterrichten oder in den Hybridunterricht zu gehen. Kleinere Gruppen, mehr Abstand! Und eine Schließung der Schulen im Anschluss an die Ferien ist eine vergleichsweise milde Maßnahme. Die hatten wir übrigens schon vor Längerem einmal angeregt. Aus meiner Sicht hätte die Leopoldina da auch früher draufkommen können. Diese Schließung muss so ausgestaltet sein, dass den Eltern auch ein Anspruch auf Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz entsteht, also nicht einfach eine Verlängerung der Maßnahmen, denn sonst tragen wir das wieder auf den Rücken der Eltern aus.

Wenn die Schulen im Januar wieder eröffnen, muss der Wechsel- oder Hybridunterricht möglich sein, wenn die Schulkonferenz es so beschließt. Die Selbsttests für Lehrerinnen und Lehrer müssen genauso verfügbar sein wie Luftreinigungsgeräte und FFP2-Masken für Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler.

Immer wieder wird auch über den ÖPNV geschimpft. Nicht der ÖPNV ist das Problem, sondern dessen hohe Auslastung im Berufsverkehr. Das Problem wird nicht durch verstärkte Angebote zu lösen sein, wir sind da weitestgehend am Limit. Hier müssen sich aus unserer Sicht die Arbeitgeber bewegen. Wer ins Homeoffice kann, muss ins Homeoffice gehen können. Aber auch über flexiblere Arbeitszeiten ist das zu regeln. Wer muss wirklich früh um 8 Uhr im Büro sein, wer könnte erst um 10 Uhr da sein? Auch da sind Regelungen möglich.

Ich hatte vorhin auf Virchow verwiesen und auf die von ihm aufgezeigte Beziehung zwischen Verhalten und Verhältnissen.

[Sebastian Czaja (FDP) meldet sich
 zu einer Zwischenfrage.]

– Keine Zwischenfragen, danke! – Und wieder: Wir fordern Verhaltensänderungen der Menschen ein. Wir haben das bereits im November getan. Richtig war damals, Verhältnisse in Aussicht zu stellen, die das ermöglichen, weil über die sogenannten Novemberhilfen auch Existenzen gesichert werden sollten. Aber nun warten alle auf Auszahlung, manche sogar immer noch auf Antragstellung. Diesen Schuh, finde ich, muss sich die Bundesregierung anziehen. Hilfe war versprochen, aber: versprochen, gebrochen! – Das zeigt noch einmal: Die Häme über unser Handeln hier im Frühjahr war absolut unangebracht. Ja, mag sein, dass nicht alle, die damals finanzielle Hilfe bekamen, diese auch brauchten. Aber eine riesige Mehrheit brauchte sie und braucht sie schnell. Dafür haben wir gesorgt! Wir halten das für deutlich besser und angebrachter als das, was jetzt geschieht.

Aus Sorge, dass eine kleine Minderheit etwas unberechtigterweise bekommen könnte, werden nun alle möglichen Hürden errichtet, mit der Folge, dass nun auch die, die sie wirklich brauchen, auf Hilfe warten und einen riesigen Aufwand betreiben müssen, um sie zu bekommen. Das kann nicht sein!

Da muss sich auch niemand wundern, wenn einige versuchen, sich mit Glühweinverkauf über Wasser zu halten.

Zu diesen Verhältnissen, die wir in den Blick nehmen müssen, zählen auch die beengten Wohnverhältnisse, die es in unserer Stadt gibt. Deshalb bin ich froh, dass der Senat ein Konzept auf den Weg gebracht hat, Menschen aus beengten Wohnverhältnissen die Quarantäne in Hotels zu ermöglichen, die sonst geschlossen wären. Dazu gehört, Menschen ohne Wohnung eine Möglichkeit der Unterkunft auch am Tage zu bieten, und dazu gehören die 24/7-Unterkünfte, die die Sozialsenatorin an den Start gebracht hat.

Kein Verständnis habe ich allerdings dafür, dass es die Bundesregierung nicht schafft, wenigstens eine Anhebung des ALG-II-Satzes um 100 Euro auf den Weg zu bringen, null Verständnis, dass es immer noch keinen Unternehmerinnenlohn für Soloselbstständige gibt, und auch null Verständnis, dass erst jetzt juristische Klarstellungen erfolgen, dass von der Pandemie Betroffene einen Anspruch haben, Gewerbemietverträge neu zu verhandeln, und noch weniger, dass es kein Anspruch auf Mietminderung ist. Deshalb werden wir in der Koalition über einen Antrag auf eine Bundesratsinitiative reden, die die Gewerbemieten, also Fixkosten für Unternehmen, begrenzt.

Durch die Krise kommen wir nur mit Solidarität. Deshalb braucht es, wenn jetzt weitere Maßnahmen in der Pipeline sind, weitere Hilfen und eine klare Aussage dazu. Die Einzelhandelsgeschäfte, die im Dezember und Januar schließen sollen, müssen eine klare Perspektive haben.

Debatten, wie der Chef der CDU-Bundestagsfraktion sie vom Zaune bricht, dass jetzt ein Ende der Fahnenstange erreicht sei, sind aus meiner Sicht unverantwortlich.

Aber immerhin hat ihm ja auch ein Ökonom widersprochen, der unverdächtig ist, ein Linker zu sein. Ich bin da ganz bei ihm: Jetzt ist die Zeit, Schulden zu machen und alles zu tun, die Pandemie zu bekämpfen und auch für die Folgen vorzusorgen. Aus den Schulden herauswachsen können wir, wenn die Wirtschaft  wieder läuft. Jetzt braucht es, finde ich, ein kraftvolles What-ever-it-takes, um Sicherheit für alle zu vermitteln.

Liebe Berlinerinnen und Berliner! Vor uns liegen weitere schwere Wochen. Deshalb mein Appell: Halten wir Abstand zueinander, tragen wir Alltagsmasken, halten wir uns an Hygieneregeln, nutzen wir die Corona-Warn-App, lüften wir regelmäßig, wenn wir uns drinnen aufhalten, und vor allem: Halten wir die Zahl an physischen Kontakten zu anderen Menschen klein und überschaubar. Bei Letzterem kann übrigens auch ein kleines Notizbuch helfen.

Es gilt aber auch: Kontakte reduzieren ist nicht Isolation und darf nicht Isolation sein. Achten wir aufeinander! Die vielen Initiativen, die im Frühjahr in Berlin  aus dem Boden geschossen sind, wo sich gegenseitig geholfen und aufeinander geachtet wurde, machten Mut. Lassen wir sie in den nächsten Wochen wieder aufleben. Auch unter den Bedingungen, dass Weihnachten und Neujahr nun vielleicht nur im kleinen Kreis begangen werden können, wünsche ich Ihnen allen geruhsame Feiertage und alles Gute für das neue Jahr! – Vielen Dank!